Herr Remmele, wo liegen die größten Herausforderungen, wenn man einen Traktor entwickelt, der mit verschiedenen Kraftstoffen läuft?
Das Ziel unseres Projekts war es, dass der Traktor mit Biodiesel, Rapsöl und Dieselkraftstoff arbeiten kann. Diese Kraftstoffe unterscheiden sich sehr deutlich in ihren chemischen und physikalischen Eigenschaften. Deshalb ist es wichtig, dass die Kraftstoffe – beziehungsweise deren Mischverhältnis – gut erkannt wird. Nur so kommt es weder zu einer Über- noch zu einer Minderleistung. Zudem müssen selbstverständlich die Emissionsgrenzwerte in jedem Betriebszustand eingehalten werden. Und dann gibt es noch die Anforderungen aus der Praxis: ein Kaltstart muss funktionieren und der Verbrauch stimmen.
Was musste am Traktor alles modifiziert werden, um diesen Anforderungen gerecht zu werden?
Da ist zunächst einmal das Niederdruckkraftstoffsystem, um etwa Rapsöl verwenden zu können. Denn Rapsölkraftstoff hat bei niedrigeren Temperaturen eine deutlich erhöhte Viskosität im Vergleich zu Diesel und Biodiesel. Das Hauptaugenmerk lag aber auf der Modifikation der Motorsteuerung: In der müssen unterschiedliche Kennfelder für die unterschiedlichen Kraftstoffe beziehungsweise deren Mischungen hinterlegt werden. Nur so lassen sich Leistung und Emissionsgrenzwerte erreichen.
Wie erkennt der Traktor die Kraftstoffe zuverlässig?
Dafür wurde ein zweiseitiger Ansatz gewählt: Zum einen hat John Deere daran gearbeitet, mit bereits auf dem Traktor vorhandenen Sensoren eine Kraftstoff-Detektion zu realisieren. Unser Part war dann, zusätzlich mit marktverfügbaren Sensoren eine funktionierende Lösung zu schaffen. Alle Systeme müssen sowohl bei niedrigen Temperaturen als auch bei sehr hohen Temperaturen sicher funktionieren. Um das zu überprüfen, haben wir eine Reihe von Kennzahlen untersucht, wie etwa Viskosität, Dichte und Leitfähigkeit, und dafür passende Modelle entwickelt.
Wie laufen die Tests so eines neuen Systems dann in der Praxis ab?
Wir untersuchen die Maschine zunächst im Neuzustand auf unserem Traktoren-Prüfstand. Dort nehmen wir über die Zapfwelle die Leistung ab. Zudem nutzen wir einen automatisierten Gas-Pedal-Steller. Dank dieser Kombination können wir über unsere Messwarte dem Motor verschiedene Drehzahl-Last-Zyklen abfordern. Das machen wir mit genormten Zyklen, die für Messungen am Motorenprüfstand gesetzlich vorgeschrieben sind. Damit können wir dann Kraftstoffverbrauch, Leistungskurven und auch Emissionen bestimmen.
Nach 600 bis 1.000 Betriebsstunden holen wir den Schlepper vom Feld zurück auf den Prüfstand und erheben, wie sich Kraftstoffverbrauch, Leistung und Emissionsverhalten verändert haben.
Dr. Edgar Remmele
Wenn diese Eingangs-Prüfung erfolgt ist, geht die Maschine in den praktischen Feldversuch bei unseren staatlichen Versuchs-Gütern. Da werden die Maschinen für alle möglichen Arbeiten, die über das Jahr anfallen, genutzt wie jede andere Maschine. Danach holen wir den Schlepper wieder zurück auf unseren Traktoren-Prüfstand und messen nach 600 bis 1.000 Betriebs-Stunden, wie sich Kraftstoffverbrauch, Leistung und gegebenenfalls das Emissionsverhalten verändert haben.
In der Abgasstufe V denkt der Gesetzgeber aber schon weiter und will auch wissen, wie die Maschinen im Feldeinsatz emittieren. Deswegen haben wir uns schon vor Jahren mit einem portablen Emissions-Messsystem (PEMS) ausgestattet, um die Real Driving Emission (RDE), also die realen Emissionen im praktischen Betrieb messen zu können.
Welches Potenzial haben Multi-Fuel Lösungen aus Ihrer Sicht für die Landwirtschaft?
Die Landwirtschaft hat die Aufgabe – etwa durch das Klimaschutzgesetz in Deutschland –, Treibhausgas-Emissionen zu senken. Viele Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft stammen aus biogenen Prozessen, die sich kaum reduzieren lassen: Methan-Emissionen aus den Mooren, Methanausstoß aus der Tierhaltung oder Lachgas-Emissionen aus der Stickstoff-Düngung. Was hingegen einfach reduziert werden kann, sind die sogenannten energiebedingten Emissionen und zwei Drittel davon stammen aus der Kraftstoff-Nutzung.
Und hier sehe ich eben die Chance, dass durch biogene Kraftstoffe, schnell ein wesentlicher Beitrag zur Treibhausgas-Reduzierung für den Sektor Landwirtschaft geleistet werden kann.
Der große Charme der Multifuel-Lösung ist, dass sie dem Landwirt eine Wahlfreiheit ermöglicht. So kann er instabilen Rahmenbedingungen und hohen Preisschwankungen auf dem Kraftstoffmarkt begegnen, indem er zwischen verschiedenen Kraftstoffen hin und her wechselt – je nachdem, welche Kraftstoffe gerade verfügbar oder kostengünstig sind.
Wie sehen Sie die Diskussion darüber, ob durch Biokraftstoffe eine Konkurrenz zu Flächen für die Nahrungsmittelproduktion entsteht?
Die wichtigste Botschaft aus meiner Sicht ist: kein Teller ohne Tank. Wir brauchen schließlich Kraftstoffe, um Nahrungsmittel zu produzieren. Eine Flächenkonkurrenz sehe ich da eigentlich auch nicht, weil wir beispielsweise bei der Verarbeitung von Ölsaaten ein Koppelprodukt wie Presskuchen erzeugen. Dieses wertvolle Eiweiß-Futtermittel kann beispielsweise Soja-Importe aus Südamerika ersetzen – wenn es heimisch produziert wurde. So schlagen wir sogar zwei Fliegen mit einer Klappe.
Was man noch wissen muss: Momentan gehen fast alle pflanzenölbasierten Kraftstoffe in den Verkehrssektor und nicht in die Landwirtschaft. Wir betreiben unsere Pkw anteilig mit 7 % Biodiesel im Diesel. Dort werden wir künftig sicherlich nicht biogene Kraftstoffe brauchen, weil dieses Segment des Individualverkehrs auf dem Weg in die Elektrisierung ist. Also allein die Mengen Biodiesel, die langfristig frei werden aus der Beimischung zu Dieselkraftstoff und der Nutzung im Pkw-Sektor würde schon genügen die Landwirtschaft zu versorgen.