Am schönsten ist die französische Provence im Sommer, wenn der Lavendel blüht. Das Bergdorf Simiane-la-Rotonde, nordöstlich von Apt, in der Region Luberon ist eine Hochburg des Lavendelanbaus. 70 % des gesamten ätherischen Lavendelöls, das in Frankreich produziert, finden ihren Weg durch dieses Dorf. „Hier wächst der beste Lavendel Frankreichs”, davon ist Nicolas Landel überzeugt. Er ist Farm-Manager bei Young Living und betreut die französische Seite des US-amerikanischen Unternehmens, das sich auf ätherische Öle spezialisiert hat.
In der Provence sind es fünfzig Landwirte, die auf rund 2.500 ha Lavendel, im kleineren Rahmen auch andere Kräuter wie Ysop, Rosmarin oder Muskatellersalbei für die Firma anbauen. Die Betriebe liegen in einem Umkreis von 150 km zu Simiane-la-Rotonde.
Die Zusammenarbeit begann vor 28 Jahren. Der amerikanische Farmer Gary Young besuchte die Provence und freundet sich mit Nicolas Vater, Jean-Noël Landel, an. „Mein Vater hatte eine Destille und den Kontakt zu den Bauern. Die waren anfangs skeptisch, mit dem Amerikaner zusammenzuarbeiten.” Dann begannen sich die Absatzmärkte abzuschwächen, Young bezahlte aber weiterhin für gute Qualität gute Preise an die Erzeuger. „Das legte den Grundstein für die noch immer gute Zusammenarbeit”, so Landel.
Anbau mechanisiert
Philippe Gaillard (25) ist einer dieser Lavendel-Landwirte. Mit seinem 60-jährigen Vater bewirtschaftet er den Hof “Les Maurelieres”, ein paar Kilometer außerhalb von Simiane-la-Rotonde. Zum Hof gehören rund 125 ha Fläche, davon wird im Moment auf 100 ha Lavendel angebaut. In den nächsten drei Jahren sollen weitere 50 ha hinzukommen. Den Anfang machen 25 ha Neupflanzungen in 2020. Eine “ideale Gegend für den Lavendelanbau”, beschreibt Gaillard seine Heimat.
Wir leben hier in einer idealen Gegend für den Lavendelanbau.
Philippe Gaillard
Lavendel hat es gern sonnig, mag es trocken und wächst auf Höhen zwischen 600 bis 1.400 m, am besten auf 1.000 bis 1.200 m. “Les Maurelieres” liegt auf 850 m und die Region Luberon ist seit jeher traditionelles Anbaugebiet. Auch bei den Gaillards ist der Lavendel seit mehreren Generationen im Programm. “Die ist sicher schon 200 Jahre alt”, zeigt Gaillard auf eine alte Steinmauer auf seinem Hof. Gleich daneben stehen die Traktoren. Früher war der Anbau von Lavendel noch viel Handarbeit, heute ist er mechanisiert.
Im biologischen Anbau, wie bei Philippe Gaillard, wird der Lavendel in Rotation mit Einkorn angebaut. Hierbei wächst zehn Jahre lang Lavendel auf dem Feld, nur mit Zusatz von organischem Dünger. Im ersten Jahr wirft er noch keinen Ertrag ab, ab dem zweiten Jahr 60 %, ab dem dritten Jahr erreicht die Pflanze ihre volle Größe. Nach dem 10. Jahr werden die Wurzelstöcke entfernt und es folgen für drei bis vier Jahre Einkorn, oder im Fall der Gaillards auch Muskatellersalbei oder Ysop.
Arbeit in Kooperativen
Mancher Landwirt treibt seine Schafe auf das Feld, um das Unkraut abfressen zu lassen. Die mögen den Geruch des Lavendel nicht, deshalb lassen sie ihn links liegen. Bei Philippe Gaillard wird das Unkraut mechanisch entfernt.
Bis vor vierzig Jahren stand bei den Gaillards auch noch eine eigene Destille für das Extrahieren von ätherischen Ölen auf dem Hof. Inzwischen ist es oft effizienter, arbeitsteilig zu arbeiten. Die Landwirte arbeiten in Kooperativen, in denen beispielsweise Maschinen und Arbeitsstunden geteilt oder Destillen gemeinsam betrieben werden. Eine davon befindet sich unweit von Simiane-la-Rotonde.
Benoît Cassan führt diese Destille. Er ist Anfang 40 und selbst Landwirt und baut bereits in vierter Generation Lavendel an. Zu seinem Hof gehören 200 ha Fläche. Bereits im Alter von acht Jahren stand Benoît Cassan mit Vater und Großvater auf dem Feld und schnitt von Hand Bouquets. Als Gary Young nach Frankreich kam und nach Landwirten suchte, die ihm zur Seite stehen würden, waren die Cassans von Anfang an dabei. Benoît sagt, die Zusammenarbeit über die Jahre hab ihm viel gegeben. „Ich habe vor allem gelernt, meine Arbeit zu schätzen.”
Jeden Sommer lernen insgesamt 300 Menschen aus aller Welt über fünf Wochen hinweg diese Wertschätzung kennen: Sie nehmen an einem Programm teil, das unter dem Motto “Vom Samen bis zum Siegel” steht. Sie lernen Landschaft und Landwirte kennen, besuchen die Destillerie von Benoît Cassan und eine Getreidemühle, bilden sich in Vorträgen weiter und helfen auf dem Feld. Dort lernen sie, wie in alten Zeiten mit einer speziellen Sichel Bouquets zu schneiden oder Unkraut zu jäten. Heute wird der Lavendel maschinell geerntet. Per Traktor mit speziellem Mähwerk, das nebenher läuft und auf einen sehr tiefen Kipper führt. Auch das bekommt die Gruppe gezeigt.
Im Feld direkt neben dem Lavendel steht ein sehr kurz gewachsenes Getreide mit dicken Ähren: Einkorn. Petit Épeautre, kleines Dinkelkorn, nennt es der Volksmund. Früher war es das wichtigste Getreide auf den kargen provenzalischen Böden. Traditionell folgt Einkorn dem Lavendel in der Fruchtfolge und dank des biologischen Anbaus ist diese alte Getreidesorte nie ganz verschwunden.
Ideale Fruchtfolge
Einkorn kommt auch auf diesen ungünstigen Standorten ohne Dünger oder Pflanzenschutz aus und ist außerdem auch gut für die Bodenqualität. So war der Anbau früher oft auch eine günstige Möglichkeit, die Fruchtbarkeit des Bodens zu verbessern. Durch die lange Wachstumsphase – Einkorn wird im September ausgesät und erst im August des darauffolgenden Jahres geerntet – bildet das Getreide sehr lange Wurzeln. Somit ist es sehr widerstandsfähig und kann mit Trockenperioden und Wetterkapriolen gut umgehen.
Die Anzahl der Landwirte, die Einkorn wieder mit in die Fruchtfolge nimmt, steigt. So wurde 2019 in zwei neue Getreidesilos investiert. Fassungsvermögen pro Silo 600 t, eine Investition von 200.000 €. Sie stehen auf dem Hof von Jerome Reynard (42) in Sault, nur fünfzehn Minuten von Simiane-la-Rotonde entfernt. Der Landwirt bearbeitet selbst 300 ha, davon sind 100 ha für Lavendel, Einkorn und Muskatellersalbei vorgesehen, auf der restlichen Fläche wächst anderes Getreide.
Er betreibt zwei Getreidemühlen und verschiedene Anlagen zum Reinigen, Säubern, Sieben, Entspelzen und Sortieren des Einkorns. „Die Kleie, die beim Mahlen anfällt, verfüttern wir an die Schweine“, erklärt Reynard beim Rundgang über den Hof. Die Hülsen – Abfallprodukt beim Entspelzen – werden mit Lavendelblüten gemischt, damit Kopfkissen befüllt und in alle Welt verkauft.
Im Lagerhaus arbeiten Gael Boeglin, der für die technische Wartung der Anlagen zuständig ist, und Cyril Cornabe als Qualitätsmanger. In einer Halle sind mit Einkorn gefüllte Säcke deponiert, jeder fasst eine Tonne. „Das Korn kann problemlos bis zu einem Jahr lagern“, erklärt Cyril. Bei Lieferungen zum Beispiel nach Übersee, transportiert ein Lkw das Getreide zum zwei Stunden entfernten Hafen von Marseille. Einen Monat später ist die Bestellung in den USA. Inzwischen ist Einkorn als Mehl, Backmischung, Granola, ganzes Korn und zu Nudeln verarbeitet erhältlich.
Das Traumpaar
Die alte Getreidesorte Einkorn liegt im Trend. Es soll zum Beispiel für Menschen mit Glutenintoleranz besser verträglich sein. Die Nachfrage steigt, nicht nur im Ausland, auch in Frankreich erfährt das Einkorn ein Revival. Sogar die kleine Bäckerei „Barret“ an der Hauptverkehrsstraße von Simiane-la-Rotonde beeindruckt mit einer Vielfalt an Einkorn-Produkten. Nicolas Landel empfiehlt die Boulangerie Au Pierrot d’Antan in Rustrel, auf halben Weg zurück nach Apt. Zu der pilgern Feinschmecker von weit her.
Entlang der Straße dorthin wächst das Einkorn, auf den abfallenden Hängen zum Ort hoch Lavendel. Da ist es wieder: das Traumpaar. „Einfach die geniale Fruchtfolge“, versichert Landel. „Auch deshalb sind die Landwirte in dieser Gegend so stolz, weil sie eine Tradition weiterführen können.“
Einkorn feiert Comeback
Einkorn (Triticum monococcum) gehört in Mitteleuropa zu den ältesten Ackerkulturen und wird seit mindestens 3.000 v. Chr. angebaut. Bis zur Römerzeit war Einkorn weit verbreitet. Später wurde es dann fast vollständig durch Weich- und Hartweizen verdrängt und konnte sich nur in Bergregionen mit kargen Böden halten. Mit insgesamt rund 1.000 ha Anbaufläche besitzt es heute in Europa (hauptsächlich in Österreich, Italien, Ungarn und Frankreich) nur eine geringe Bedeutung. In der französischen Provence hat man den Anbau von Einkorn nie ganz aufgegeben, traditionell folgt es in der Fruchtfolge dem Lavendel.
Seit etwa einem Jahrzehnt feiert Einkorn ein Comeback. Man schätzt wieder seine Vorzüge: Es ist widerstandsfähig, stellt keine großen Ansprüche an den Boden und kommt mit Trockenperioden gut zurecht. Außerdem enthält es sehr wenig Gluten und ist leicht verdaulich. In der Haute-Provence haben sich Landwirte zusammengeschlossen, um den Anbau von Einkorn zu fördern. Die heimische Sorte der Haute Provence trägt seit April 2010 das EU-Siegel „Geschützte geografische Angabe“.