Island setzt auf erneu­er­bare Energie

Prak­tisch die gesamte Energie stammt aus erneu­er­baren Ressourcen. Dank geother­maler Energie wachsen in Island
Tomaten, Erdbeeren und sogar Bananen. Und manche Land­wirte bauen sich ein eigenes Geother­mie­kraft­werk.

Eine Reise durch Island ist wie bei der Entste­hung der Erde live dabei zu sein. Vieler­orts entwei­chen aus Rissen und Spalten in der Erdober­fläche weiße Dampf­wolken, woan­ders schießen sie als Geysire, soge­nannte Spring­quellen bis zu 100 m hoch in die Luft, es gibt Quellen und sogar Flüsse mit brodelnd heißem Wasser, Sand­bänke, die in einem eiskalten Glet­scher­fluss dampfen oder einem blub­bernden Heiß­was­sersee, am Strand kochen ein paar Gewiefte in den Pfützen Eier und Würst­chen; woan­ders nutzt eine Bäckerei die Boden­hitze zum Backen von Brot. Durch seine Geologie und Lage im Nord­at­lantik wartet Island mit spek­ta­ku­lärer Land­schaft und Natur­ge­walten auf, wie extrem starken Winden, regel­mä­ßigen Erdbeben und vielen aktiven Vulkanen.

2 km tiefe Bohrungen im Vulkan

„Mindes­tens alle vier Jahre gibt es einen Vulkan­aus­bruch, die letzten zehn Monate waren es bereits sechs“, berichtet Antonia Hamann. Die deut­sche Wissen­schafts­kom­mu­ni­ka­torin arbeitet im Besu­cher­zen­trum des Geother­mie­kraft­werks Hellisheiði im Südwesten der Insel, 20 km von der Haupt­stadt Reykjavik entfernt. Schon von weitem sieht man die Anlage auf einer kargen Hoch­ebene stehen, dahinter die Erhö­hungen des Vulkan­sys­tems Hengill.

Über­di­men­sio­nale Wolken dampfen gen Himmel, riesige Rohre ziehen durch die Land­schaft. Aus 43 Bohrungen in der Umge­bung des Vulkans, die bis zu 2 km tief sein können, wird heißes Wasser und Dampf gewonnen. Das Kraft­werk erzeugt daraus Elek­tri­zität und warmes Wasser, das in die Groß­stadt­re­gion Reykjavik gepumpt wird, wo fast drei­viertel der islän­di­schen Bevöl­ke­rung (rund 400.000 Menschen) leben. Mit einer Kapa­zität von 303 Mega­watt Strom und 200 Mega­watt Fern­wärme ist Hellisheiði eines der größten Geother­mie­kraft­werke der Welt und das größte auf Island.

Island wartet mit einer spek­ta­ku­lären Land­schaft und Natur­ge­walten auf.

Vorreiter bei erneu­er­baren Ener­gien

Hellisheiði produ­ziert mit dem nicht weit entfernt liegenden Kraft­werk Nesja­vellir 50 % des Warm­was­sers für Reykjavik. Der Strom beider Kraft­werke geht an das natio­nale Strom­netz. Die von der Haupt­stadt­re­gion genutzte Fern­wärme basiert inzwi­schen zu fast 100 % auf geother­mi­scher Energie. Rund 3.000 km unter­ir­di­sche Rohr­lei­tungen versorgen Reykjavík und die umlie­genden Orte mit heißem Wasser. Es gibt sogar Schnee­schmelz­rohre, die unter Straßen, Gehwegen und Park­plätzen verlegt sind und durch die das warme Abwasser geleitet wird. Ein offenes System liefert heißes Wasser an Haus­halte, öffent­liche Schwimm­bäder und in die Land­wirt­schaft, z. B. für das Betreiben von Gewächs­häu­sern.

Die Kilo­watt­stunde kostet nur umge­rechnet fünf bis sieben Euro­cent, in Deutsch­land liegt der Preis zwischen 30 und 50 Euro­cent.

Antonia Hamann

Heute ist Island welt­weit Vorreiter bei der Nutzung von Geothermie zur Behei­zung von Räumen. Auch die Strom­erzeu­gung mithilfe der Geothermie hat in den letzten Jahren stark zuge­nommen. Geother­mi­sche Kraft­werke erzeugen derzeit 25 % der gesamten Strom­pro­duk­tion des Landes, daneben spielt die Wasser­kraft eine große Rolle. Im Laufe des 20. Jahr­hun­derts hat sich Island von einem der ärmsten Länder Europas, das auf Torf und impor­tierte Kohle ange­wiesen war, zu einem Land mit einem hohen Lebens­stan­dard entwi­ckelt, in dem prak­tisch die gesamte Energie aus erneu­er­baren Ressourcen gewonnen wird. Mit einher gingen güns­tige Strom­preise, von denen andern­orts die Menschen nur träumen können. „Die Kilo­watt­stunde kostet nur umge­rechnet fünf bis sieben Euro­cent, in Deutsch­land liegt der Preis zwischen 30 und 50 Euro­cent,“ sagt Antonia Hamann zum Vergleich.

Erdbeeren und Tomaten aus Island

Dank der Entwick­lung der Geothermie und güns­tiger Strom­preise wurde es in den letzten Jahren auf Island auch möglich, immer mehr Nahrungs­mittel ganz­jährig und in beheizten Gewächs­häu­sern anzu­bauen. Vorbei sind die bitter­armen Zeiten, die Abhän­gig­keit von Wetter­ka­priolen, von Outdoor-Feldern, auf denen in diesen Brei­ten­graden außer Kartof­feln, Kohl und Rüben bis in die 1940er-Jahre nicht viel mehr ange­baut wurde.

Immer mehr Nahrungs­mittel werden ganz­jährig in beheizten Gewächs­häu­sern ange­baut.

Heute ist das Angebot an in Gewächs­häu­sern produ­zierten Agrar­pro­dukten beein­dru­ckend: Gemüse, Pilze, Kräuter, aber auch Blumen, Erdbeeren, und eine Zeit lang versuchte man sich sogar am Anbau von Bananen. Antonia Hamann lässt sich regel­mäßig eine Gemü­se­kiste von einem der Garten­bau­be­triebe ins Haus liefern. Die letzte war gefüllt mit Tomaten, Gurken, Grün­kohl, Mangold, Brok­koli, außerdem Radies­chen, Rote Beete und verschie­denen Salaten und Kräu­tern.

Ohne die güns­tige Energie aus der Erdwärme würde sich unser Geschäft nicht rechnen, gesteht Kristján Geir Gunn­arsson. Er ist Geschäfts­führer von Friðheimar. Der Weg zu ihm führt durch Hver­a­gerði und der Region mit den meisten Gewächs­häu­sern Islands, rund 100 km von Reykjavik in östli­cher Rich­tung, wo der Boden reich an heißen Quellen ist und berühmt für seine Geysire. Gunn­arsson weiß es sehr zu schätzen, dass sich sein Geschäft auf Island befindet und in keinem anderen Land, wie er sagt.

„Woan­ders wäre es sicher zu teuer diese Art von Produk­tion zu betreiben. Mit der Energie, die wir in den Gewächs­häu­sern brau­chen, könnten wir 7.000 Menschen versorgen, auch wenn wir auf dem neuesten tech­ni­schen Stand sind.“ Zum Unter­nehmen gehören zurzeit 19 Gewächs­häuser, in denen Salate, Kräuter, Gemüse, vor allem aber Tomaten ange­baut werden. „50 % aller islän­di­schen Tomaten kommen von hier, jeden Tag ernten wir zwei Tonnen und beschäf­tigen 29 Mitar­beiter alleine im Toma­ten­ge­schäft“, zählt er auf.

In den Gewächs­häu­sern des Unter­neh­mens werden Salate, Kräuter, Gemüse und Tomaten ange­baut.
Im Hofladen werden aus Toma­ten­soßen verkauft.

Übri­gens können inzwi­schen drei­viertel aller in Island nach­ge­fragten Tomaten im Land selbst ange­baut werden. Islän­di­sche Tomaten sind zwar teurer als Import­ware, doch die Nach­frage nach Inland­ware ist groß, der große Schub kam während der Coro­na­zeit. „Islän­di­sche Tomaten schme­cken einfach besser“, schwärmt Kristján Geir Gunn­arsson. Zwei weitere Gewächs­häuser sind daher in Planung, um noch mehr Tomaten anbauen zu können.

Restau­rant im Gewächs­haus

Ein Teil der Toma­ten­ernte ist für das Restau­rant gedacht,das in einem der Gewächs­häuser einge­richtet ist. Eine origi­nelle und inzwi­schen sehr erfolg­reiche Geschäfts­idee. Friðheimar liegt an der sehr popu­lären Touris­ten­route „Golden Circle“ und ist ein wich­tiges Ausflugs­ziel vieler Rund­reisen. An die 250.000 Besu­cher kommen jedes Jahr und bekommen in einem Vortrag erklärt, wie hier nach­haltig, ener­gie­ef­fi­zient und die Erdwärme nutzend gear­beitet wird. Kristján Geir Gunn­arsson bringt einen Karton und stellt seine Bienen vor, die für die Bestäu­bung der Toma­ten­pflanzen einge­setzt sind.

Frisch geerntet auf den Teller: Im Restau­rant von Friðheimar speisen die Gäste im Gewächs­haus.

Er zeigt auf Rohre auf dem Boden, durch die heißes Wasser läuft und somit die Treib­häuser aufheizen. Das Wasser kommt von einer heißen Quelle, die sich nur 200 m entfernt auf einem Hügel befindet. Und der viele Strom – die Tomaten werden schließ­lich täglich zwischen 14 und 17 Stunden beleuchtet – wird in einem nur 18 km entfernt liegenden Wasser­kraft­werk produ­ziert. Um einen der begehrten Tische im Restau­rant zwischen den Toma­ten­stauden zu ergat­tern, muss man sechs Monate im Voraus buchen, warnt Gunn­arsson. Und das trotz saftiger Preise, z. B. kostet eine Tómatsúpa, die Toma­ten­suppe mit Brot umge­rechnet 22 €! An der Bar gibt es sogar Toma­ten­bier.

Die Zutaten der Gerichte auf der Spei­se­karte stammen aus den Gewächs­häu­sern. Während die Gäste essen, sind im Hinter­grund die Mitar­beiter bei der Arbeit und ernten die frischen Zutaten. Im Hofladen werden verschie­dene vor Ort herge­stellte Toma­ten­soßen ange­boten und frische Tomaten in Plas­tik­folie einge­schweißt, fünf Stück gibt es für umge­rechnet 3,50 €.

Der Thor­vald­seyri-Hof liegt direkt am Vulkan Eyja­f­jal­la­jö­kull.

Ener­ge­tisch autark dank Wasser und Geothermie

Weiter geht es auf der Küsten­straße gen Osten, durch eine von der Milch­wirt­schaft geprägte Land­schaft. Es ist Anfang September, die Wiesen sind übersät mit in Plas­tik­folie einge­schweißten Gras­si­la­ge­ballen. Rechts der Straße hinter Getrei­de­fel­dern das tosende Meer, zur Linken saftige Wiesen und allein­ste­hende Höfe, die vor dem Glet­scher­ge­birge wie für ein Gemälde arran­giert wirken. Einer davon, der Thor­vald­seyri-Hof von Ólafur Eggertsson, wurde 2010 berühmt, als der Vulkan Eyja­f­jal­la­jö­kull direkt dahinter ausbrach und Bilder davon um die Welt gingen. Damals rich­tete die Familie unten an der Haupt­straße ein Museum ein, um der neugie­rigen Besu­cher­massen Herr zu werden. Das Museum ist inzwi­schen in ein Gebäude auf den Hof umge­zogen und wird nur noch selten besucht.

Inzwi­schen hat Sohn Páll Eggert (45) den Hof über­nommen, zu dem neben Grün­land, auch Flächen für den Anbau von Brau­gerste (40 ha), Hafer (20 ha) und Raps (20 ha) gehören, außerdem 60 Milch­kühe mit Nach­zucht und 360.000 l Milch pro Jahr, die an die Molkerei gelie­fert werden. Gemolken wird mit einem Melk­ro­boter. Strom produ­ziert ein eigenes Wasser­kraft­werk, das unweit vom Hof an einem Wasser­fall steht. Zur Nutzung von Erdwärme hat die Land­wirts­fa­milie dereinst auf eigene Kosten um den Eyja­fall­a­jö­kull Bohrungen durch­führen lassen und ist in ein Kilo­meter Tiefe auf 66 °C heißes Wasser gestoßen. Seit 1989 betreiben sie ein eigenes kleines Geother­mie­kraft­werk, das noch Olafurs Vater selbst gebaut hat. Mit dem Heiß­wasser werden Haus und Hof beheizt. Vor kurzem gingen sie noch einen Schritt weiter. Als der Absatz von Rapsöl stagnierte, entschieden sie sich, daraus ihren eigenen Biodiesel für das Betreiben der Trak­toren herzu­stellen. „Jetzt sind wir ener­ge­tisch autark“, sagt Páll Eggert – nicht ganz ohne Stolz.