Hete­ro­gene Weizen­sorten: Stabi­lität für die Zukunft

Die Wahl der Weizen­sorte richtet sich meist nach Ertrag und Qualität. Doch Klima­wandel und Wetter­ex­treme führen immer häufiger zu Ertrags- und Quali­täts­ver­lusten. Können wir uns den Anbau homo­gener Sorten in Zukunft noch leisten?

Die Agrar­wis­sen­schaft­lerin Dr. Odette Weedon von der Univer­sität Kassel ist skep­tisch. Bereits heute verhin­dern schlechte Wetter­be­din­gungen oft Höchs­ter­träge und opti­male Quali­täten. Bäcke­reien und Mühlen berichten zuneh­mend über nach­las­sende Back­qua­lität. „Momentan sind wir verwöhnt, aber in Zukunft werden wir eher über Ertrags- und Protein-Stabi­lität spre­chen, nicht mehr über den besten Ertrag“, so Weedon.

Hete­ro­gene Popu­la­tionen, auch Popu­la­ti­ons­sorten, moderne Land­rassen oder Compo­site Cross Popu­la­tionen (CCP) genannt, bieten eine Lösung. Sie stammen von Nach­kommen mehrerer Kreu­zungen ab, die mitein­ander vermischt und über mehrere Jahre hinweg vermehrt wurden. Daher zeichnen sie sich – im Gegen­satz zum Sorten­weizen – durch große gene­ti­sche Viel­falt aus. „Wenn auf einem Feld eine Weizen­sorte wächst, bei der alle Indi­vi­duen gene­tisch fast gleich sind, bedeutet das, dass jede Pflanze nur immer gleich agieren kann, egal, was der Stress­faktor ist“, erklärt Weedon. Inner­halb einer Popu­la­tion finden sich dagegen immer Pflanzen, die unter den jewei­ligen Bedin­gungen gedeihen. Deren Ertrag und Qualität können jene von schlechter perfor­menden Indi­vi­duen abpuf­fern.

Viel­falt bringt Stabi­lität

Die Viel­falt erhöht die Wider­stands­fä­hig­keit gegen Schäd­linge, Krank­heiten und Wetter­ex­treme und sorgt für stabile Erträge. Aller­dings gibt es immer auch Pflanzen, die weniger gut mit den Bedin­gungen zurecht­kommen – das ist der Preis für das höhere Puffer­po­ten­zial. „Popu­la­tionen sind eine Art Risi­ko­ab­si­che­rung gegen­über unter­schied­li­chen Umwelt­be­din­gungen“, ergänzt Annette Haak, eben­falls Expertin für hete­ro­gene Popu­la­tionen. „Während Elite-Weizen in schlechten Jahren oft die Back­qua­lität verliert, liefern Popu­la­tionen weiterhin relativ sicher die gefor­derten Quali­täten – wenn auch nicht die Top-Erträge wie Elite-Sorten“, so die Agrar­wis­sen­schaft­lerin. Ein weiterer Vorteil: Popu­la­tionen machen die Land­wirte unab­hän­giger, da sie auf dem Betrieb nach­ge­baut werden können.

In der Mühle von Gilches­ters Orga­nics (UK) werden hete­ro­gene Weizen­po­pu­la­tionen vermahlen. Probleme, beispiels­weise mit unein­heit­li­cher Ausbeute oder Parti­kel­größe, traten nicht auf.

Popu­la­ti­ons­züch­tung: noch Nische

Dieses Poten­zial wird bisher vor allem in der ökolo­gi­schen Land­wirt­schaft genutzt. Eine Rege­lung gibt es bislang nur in der EU-Öko-Verord­nung, jedoch nicht für den konven­tio­nellen Bereich. Die Vermark­tung hete­ro­gener Popu­la­tionen war von 2014 bis 2021 nur als Teil eines zeit­lich begrenzten Versuchs erlaubt. Erst seit 2022 schafft eine EU-Rege­lung über hete­ro­genes Pflan­zen­ma­te­rial Rechts­si­cher­heit, dass Züchter das Saatgut vermarkten dürfen, obwohl es keinen Sorten­schutz hat. „Popu­la­tionen entspre­chen einfach nicht den Krite­rien, die für Sorten gelten: Einheit­lich­keit, Homo­ge­nität und Stabi­lität in den Eigen­schaften“, erklärt Haak. Die Popu­la­tionen durch­laufen daher eine verein­fachte Zulas­sung, die soge­nannte Noti­fi­zie­rung. Gemäß Öko-Verord­nung (EU) 2018/848 dürfen hete­ro­gene Popu­la­tionen als „ökolo­gisch hete­ro­genes Mate­rial“ (ÖHM) vermarktet werden.

Da für Popu­la­tionen keine Schutz­rechte gelten, werden große konven­tio­nelle Züch­ter­häuser vermut­lich auch künftig nicht in deren Weiter­ent­wick­lung inves­tieren. Die Züch­tung bleibt daher ökolo­gisch und konzen­triert sich auf den Anbau unter Low-Input-Bedin­gungen. Weil die Popu­la­ti­ons­züch­tung bislang kaum wirt­schaft­lich ist, bleibt sie aller­dings auch hinter ihren Möglich­keiten zurück – zu wenige Züchter beschäf­tigen sich mit ihr. Dabei müssten Popu­la­tionen ebenso wie herkömm­liche Sorten konti­nu­ier­lich weiter­ent­wi­ckelt werden, gibt Dr. Weedon zu bedenken.

Trotz dieser Umstände sehen beide Exper­tinnen großes Poten­zial für die Zukunft – auch für konven­tio­nelle Land­wirte. „Sie werden es in den breiten Anbau schaffen“, vermutet Haak. „Es ist erstaun­lich, wie gut Popu­la­tionen mit modernen Sorten mithalten, obwohl sie teil­weise schon so alt sind und sich so wenige Züchter damit beschäf­tigen“, ergänzt Dr. Weedon.

Projekt BAKWERT: Hete­ro­gene Popu­la­tionen im Feld

Doch wie schlagen sich die hete­ro­genen Popu­la­tionen im Feld? Im Projekt BAKWERT (2020 bis 2023) prüften Wissen­schaftler, Bäcker, Land­wirte und Müller hete­ro­gene Weizen­po­pu­la­tionen vom Anbau bis zur Verar­bei­tung. Das Projekt wurde im Rahmen des Bundes­pro­gramms Ökolo­gi­scher Landbau geför­dert. Forschende der Univer­sität Kassel und des Kompe­tenz­zen­trums Ökolo­gi­scher Landbau Baden-Würt­tem­berg (KÖLBW) vergli­chen die Popu­la­tionen Brandex und EQua­lity mit der Öko-E-Weizen­sorte Aristaro.

Die hete­ro­gene Weizen­po­pu­la­tion Brandex konnte in Feld­stu­dien das Ertrags­po­ten­tial eines Stand­orts besser ausnutzen als die Lini­en­sorte Aristaro.

Zehn land­wirt­schaft­liche Betriebe testeten die Herkünfte im Feld. Ergebnis: Die Popu­la­tionen (EQua­lity: 5,8 t/ha, Brandex: 5,6 t/ha) erzielten im Durch­schnitt der beiden Versuchs­jahre mehr Ertrag als Aristaro (5,1 t/ha). Die Jahre 2021 und 2022 waren dabei sehr unter­schied­lich: erst nass, dann trocken. Auch den Erträgen der Back­qua­li­täts­sorten in vielen ökolo­gi­schen Landes­sor­ten­ver­su­chen standen die Popu­la­tionen in nichts nach.

Die Forschenden vermuten, dass Höhen­un­ter­schiede der Ähren nicht nur den Bestand wind­durch­läs­siger machen, sodass er rascher abtrocknet. Sie stabi­li­sieren auch den Bestand – Popu­la­tionen neigen unter ökolo­gi­schen Bedin­gungen kaum zu Lager. Jeder einzelne Genotyp verfügt außerdem über unter­schied­liche Resis­tenz­gene und kann als Barriere wirken, um die Ausbrei­tung von Krank­heits­er­re­gern zu verhin­dern. Unter­schied­liche Wurzel­längen ermög­li­chen es, Nähr­stoffe und Wasser besser zu nutzen.

Große Stabi­lität bei den Popu­la­tionen

Bioland­wirt Volker Menthe vom Hofgut Weiden in Nord­hessen sieht seine anfäng­li­chen Bedenken nicht bestä­tigt: „Im Gegen­teil: Es war kein deut­li­cher Unter­schied fest­zu­stellen, was Ernte und Ertrag betrifft.“ Johannes Müller vom Biolandhof Müller-Oelbke arbeitet seit Jahren mit eigenen Winter­weizen-Sorten­mi­schungen: „Aber die Stabi­lität der Popu­la­tionen war noch mal besser. Wir waren sehr zufrieden, insbe­son­dere mit den Quali­täten.“

Die Back­qua­lität von Elite-Weizen leidet in schlechten Jahren. Hete­ro­gene Popu­la­tionen liefern dagegen auch weiterhin relativ sicher die gefor­derten Quali­täten.

BAKWERT zeigte zudem, dass die Popu­la­tionen besser in der Lage waren, Stand­ort­po­ten­ziale auszu­nutzen als die Lini­en­sorte Aristaro. Sie wiesen im Vergleich mit der Lini­en­sorte einen gerin­geren Anteil kleiner Körner sowie eine größere Stabi­lität aller Back­qua­li­täts­merk­male außer der Fall­zahl auf. „Reini­gung und Verar­bei­tung waren genauso effi­zient wie bei anderem Weizen“, berichtet Anna Schmieg von der Erzeu­ger­ge­mein­schaft OBEG Hohen­lohe. Unein­heit­liche Gene bedeuten also nicht auto­ma­tisch unein­heit­liche Quali­täten.

Eine weitere Öko-E-Winter­weizen-Popu­la­tion – Liocharls – ist seit Jahren in den Öko-Landes­sor­ten­ver­su­chen in Baden-Würt­tem­berg vertreten. Erträge und beson­ders die Quali­täten zeigten sich über die Jahre und Stand­orte stabil. Im Vergleich mit anderen Öko-E-Weizen­sorten liegt Liocharls immer im Mittel­feld, so Haak.

Popu­la­tion sucht Betrieb

In Deutsch­land sind Popu­la­tionen aktuell noch eine kleine Nische. Haupt­säch­lich werden Mais, Weizen und Roggen als Popu­la­tionen ange­baut. Nur auf etwa 300 bis 400 Hektar stehen bundes­weit Winter­wei­zen­po­pu­la­tionen. Nachbau und Saat­gut­ver­meh­rung nehmen jedoch Jahr für Jahr zu. Die aktuell noti­fi­zierten Weizen­po­pu­la­tionen sind für Low-Input-Bedin­gungen gezüchtet. Bei inten­siver Düngung verlieren die Öko-Popu­la­tionen an Stand­fes­tig­keit, wie Versuche mit Brandex zeigen. Für konven­tio­nelle Land­wirte sind die verfüg­baren Popu­la­tionen daher vor allem auf schwie­rigen Stand­orten, z.B. in Wasser­schutz­ge­bieten, oder bei redu­zierter Düngung inter­es­sant.

Gene­ti­sche Diver­sität ist das A und O einer gesunden, resi­li­enten Land­wirt­schaft.

Dr. Odette Weedon

Als „Standort-Allrounder“ gezüch­tete Popu­la­tionen wie Brandex sind zudem weniger für sehr trockene, sandige Böden geeignet. Für solche Stand­orte braucht es neue Popu­la­tionen mit kürzeren Wachs­tums­phasen, wie sie bereits in Ungarn und anderen Ländern entwi­ckelt werden. Dr. Weedon vermutet, dass Sorten und Popu­la­tionen künftig stärker nach örtli­chen Gege­ben­heiten ausge­wählt werden – passend zum Mikro­klima, Anbau­system oder den Boden­be­din­gungen, viel­leicht sogar diffe­ren­ziert inner­halb eines Acker­schlags.

Ein wert­volles Werk­zeug

Dr. Weedon warnt davor, Sorten­emp­feh­lungen auf eine schrump­fende gene­ti­sche Palette zu verengen, wenn viele Sorten unter den verän­derten Umwelt­be­din­gungen nicht mehr funk­tio­nieren: „Damit verengen wir unsere gene­ti­sche Palette, die wir eigent­lich brau­chen, um mitzu­halten. Das finde ich richtig gefähr­lich. Gene­ti­sche Diver­sität ist das A und O einer gesunden, resi­li­enten Land­wirt­schaft – auch inner­halb von Sorten!“

Hete­ro­gene Öko-Weizen­po­pu­la­tionen können unter opti­malen Bedin­gungen derzeit nicht mit konven­tio­nellen Hoch­leis­tungs­sorten mithalten, mit ökolo­gi­schen aber schon. „Wenn wir über Stabi­lität spre­chen, ist das ein Trade-off mit Höchs­ter­trägen und -quali­täten“, verdeut­licht Weedon. „Die Chance für Popu­la­tionen sehe ich darin, dass sie sich besser an schwie­rige Bedin­gungen anpassen können.“ Dabei sollen Popu­la­tionen Lini­en­sorten nicht ersetzen, sondern ergänzen. Sie sind kein Allheil­mittel, aber ein gutes Werk­zeug. „Und wir brau­chen so viele Werk­zeuge wie möglich, um bereit für die Zukunft zu sein“, ist Dr. Weedon über­zeugt.

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