Eiweiß-Knapp­heit: Sind Insekten die Antwort?

Abfälle aus der Lebens­mit­tel­pro­duk­tion sind für die schwarze Solda­ten­fliege schmack­haft und gleich­zeitig berei­chern sie die Biomas­se­pro­duk­tion. Eine profes­sio­nelle Haltung und Nutzung dieser Fliege könnte also eine Zukunfts-Chance sein, um der Flächen-, Wasser- und Ener­gie­knapp­heit zu begegnen. Die däni­schen Land­wirte Carsten Lind Pedersen und Jane Lind Sam haben eine riesige Farm für dieses Insekt gebaut.

Als die Ernäh­rungs- und Land­wirt­schafts­or­ga­ni­sa­tion der Vereinten Nationen (FAO) ihren Bericht für 2019 vorlegte, waren die Zukunfts­aus­sichten düster: Ohne alter­na­tive Nahrungs­er­zeu­gungs­me­thoden oder die Erschlie­ßung neuer Nahrungs­quellen wird der Mangel an Acker­land, Wasser, Fischen, Energie und Wäldern zukünf­tige Gene­ra­tionen vor ernst­hafte Heraus­for­de­rungen stellen.

Eine poten­zi­elle Lösung für diese Probleme kommt von einem uner­war­teten Verbün­deten – der Schwarzen Solda­ten­fliege, wissen­schaft­lich bekannt als Hermetia illucens. Dieses 1-2 cm große Insekt aus den Tropen hat einen ausge­prägten Appetit auf orga­ni­sche Abfälle. Inner­halb weniger Wochen entwi­ckelt es sich von einem Ei zur Larve und schließ­lich zur nächsten Gene­ra­tion fort­pflan­zungs­fä­higer Solda­ten­fliegen. Die Fort­pflan­zungs­rate ist enorm. Aus 1 g Eiern entstehen 30.000 Larven, die reich an Vitaminen, Prote­inen und immun­sti­mu­lie­renden Amino­säuren sind.

Die Fliegen werden vertikal in gesta­pelten Boxen gezüchtet und benö­tigen daher sehr wenig Platz, erklärt Carsten Lind Pedersen.

Eine profes­sio­nelle Haltung und Nutzung dieser Fliege könnte für den Menschen eine enorme Chance bedeuten. Dieser Heraus­for­de­rung haben Carsten Lind Pedersen und seine Tochter, Jane Lind Sam, gestellt. Als trei­bende Kräfte und Mitei­gen­tümer der Enorm Biofac­tory planen sie, voraus­sicht­lich ab Ende dieses Jahres, die Produk­tion von bis zu 100 t Solda­ten­flie­gen­larven pro Tag aufzu­nehmen.

Es begann mit Schweinen

Vater und Tochter laden uns in den 24.000 m2 großen Betrieb vor den Toren von Horsens (Däne­mark) ein, wo 64 Millionen Solda­ten­fliegen sowie mehrere Milli­arden „Jung­fliegen“ von rund 60 Mitar­bei­tern betreut werden. Doch die Geschichte beginnt nicht hier, sondern mit Schweinen.

Carsten Lind Pedersen, Land­wirt von Beruf, hat immer versucht, das Beste aus seinen Schweinen heraus­zu­holen, und das auf viel­fäl­tige Weise: zum Beispiel durch effi­zi­en­tere Nutzung der Nähstoffe aus Schwei­negülle für die Algen­pro­duk­tion. Seine Tochter Jane Lind Sam, Absol­ventin der Medien- und Kommu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaften, war an vielen Projekten ihres Vaters betei­ligt und beglei­tete ihn häufig auf Auslands­reisen. Auch sie will Lösungen für diese Heraus­for­de­rungen finden. Auf der Suche stießen sie schließ­lich auf die Solda­ten­fliege, die sie beson­ders faszi­nierte, da sie sich von Gülle ernähren kann.

Die Verwen­dung der Larven

Wenn täglich

produ­ziert werden,
ergibt das pro Jahr

10.800 t Mehl

2.500 t Öl

15.000 t
Dünger / Kot

verwert­bare Biomasse

Im Jahr 2016 über­nahmen sie Enorm ApS, ein Lebens­mit­tel­un­ter­nehmen, das zu dieser Zeit gewürzte Mehl­würmer als Verzehr­pro­dukte anbot. Im darauf­fol­genden Jahr grün­deten sie Enorm Biofac­tory, ein Produk­ti­ons­un­ter­nehmen, und star­teten den Bau einer Anlage für die groß ange­legte Produk­tion von Solda­ten­fliegen.

Carsten Lind Pedersen erklärt: „Ich bin eher der prak­ti­sche Typ, der nach Lösungen sucht. Obwohl ich die Vorteile einer Tabel­len­kal­ku­la­tion durchaus sehe, ist das nicht mein bevor­zugtes Arbeits­mittel.“ Jane Lind Sam hingegen führt die Finanz- und Verwal­tungs­ab­tei­lung und ist zuständig für Anträge, Geneh­mi­gungen sowie sämt­liche admi­nis­tra­tiven Aufgaben.

Die lang­jäh­rige Part­ner­schaft zwischen Vater und Tochter verläuft harmo­nisch, betonen sie mit einem Augen­zwin­kern. Die Aufga­ben­ver­tei­lung zwischen den beiden ist klar struk­tu­riert, und sie ergänzen sich sogar in ihren Aussagen.

Häufig landet Essen nicht auf dem Teller

Beide teilen ihre Begeis­te­rung für die Schwarze Solda­ten­fliege und sind gerne bereit darüber zu spre­chen. Zu Beginn steht die Fest­stel­lung, dass 30-40 % unserer Lebens­mit­tel­pro­duk­tion nie auf unseren Tellern landen. Die nahe­lie­gendste Lösung wäre, die Lebens­mit­tel­ab­fälle in einer Biogas­an­lage zu verwerten, um Wärme und Dünger zu gewinnen. Doch Carsten Lind Pedersen und Jane Lind Sam sind anderer Meinung. Sie setzen auf eine klügere Lösung.

Sie geben die Biomasse ihren Larven zum Fressen, wodurch sie verar­beitet wird. Anschlie­ßend werden die Larven „geerntet“ und zu prote­in­rei­chem Insek­ten­mehl und -öl verar­beitet. Dieses Mehl und Öl finden Verwen­dung in der Fütte­rung von Schweinen, Geflügel, Fischen und anderem Tieren. Der Insek­tenkot, ein Abfall­pro­dukt, wird in die Biogas­an­lage geleitet.

Jähr­liche Prote­in­pro­duk­tion

Soja

Solda­ten­fliege

„Indem wir die Biomasse zuerst von den Larven verar­beiten lassen, nehmen wir etwas, das nicht nahr­haft genug für Schweine ist, aber zu nahr­haft für Biogas, und führen es direkt wieder in die Nahrungs­kette zurück, ohne lange Umwege“, betont Carsten Lind Pedersen.

„Im Grunde leihen wir die Biomasse nur für 14 Tage aus“, erklärt Jane Lind Sam. Wenn der Abfall in die Biogas­an­lage gelangt, verbleibt im Insek­tenkot immer noch Poten­zial für die Gaspro­duk­tion.

Insekten benö­tigen natur­gemäß weniger Platz und nutzen Nahrung effi­zi­enter als Säuge­tiere. „Man benö­tigt 10 kg Trocken­futter, um 1 kg Rind­fleisch zu produ­zieren, aber man erhält 9 kg Larven“, erläu­tern Vater und Tochter.

Wir nehmen etwas, was zu schlecht für ein Schwein aber zu gut für Biogas ist, und schi­cken es zurück in die Nahrungs­kette, ohne es erst um die Welt schi­cken zu müssen.

Carsten Lind Pedersen

Heraus­for­de­rungen

Carsten Lind Pedersen stellt fest, dass Enorm zwar Rücken­wind von Forschern, Spen­den­gel­dern und poli­ti­schem Inter­esse erhalten hat, jedoch auch Hinder­nisse zu über­winden waren. Eines davon ist die Verfüg­bar­keit von Biomasse.

„Es ist offen­sicht­lich, dass es einen Wett­be­werb um Biomasse gibt, da diese auch für Ener­gie­zwecke genutzt wird“, ergänzt Jane Lind Sam. „Das führt zu stei­genden Produk­ti­ons­kosten und macht das Larven­pro­tein trotz der hohen Effi­zienz der Larven nicht zu einer kosten­güns­tigen Prote­in­quelle.“

Trotz dieser Heraus­for­de­rungen bleibt sie opti­mis­tisch und ist über­zeugt, dass sich das Biomas­se­pro­blem von selbst lösen wird. Zum Teil, weil noch ausrei­chend Biomasse aus der Lebens­mit­tel­in­dus­trie und Land­wirt­schaft verfügbar ist. Außerdem zeigt auch ihre Erfah­rung beim Aufbau von Enorm, dass Hinder­nisse über­wunden werden können.

In Zukunft können durch verschie­dene Inhalts­stoffe Insekten direkt für die mensch­liche Ernäh­rung verwendet werden, glauben Vater und Tochter.

Beispiels­weise hat die EU acht Insek­ten­arten zuge­lassen, die zur Herstel­lung von tieri­schem Eiweiß für Futter­mittel genutzt werden können. Darunter auch Carsten Lind Peder­sens und Jane Lind Sams Favorit, die Solda­ten­fliege, die im Gegen­satz zu vielen anderen Arten beson­ders gut in feuchtem Futter gedeiht.

Eine weitere Heraus­for­de­rung besteht darin, dass Insekten nun als Nutz­tiere einge­stuft sind und daher denselben Fütte­rungs­re­geln wie tradi­tio­nelle Nutz­tiere unter­liegen. Daher gelten nun auch die Vorschriften für Tier­schutz und Schlach­tung von Nutz­tieren, wie sie von der däni­schen Vete­rinär- und Lebens­mit­tel­be­hörde fest­ge­legt sind. Im September 2021 wurde schließ­lich die Fütte­rung von Geflügel und Vieh mit Insek­ten­pro­te­inen geneh­migt.

„Es gab viele büro­kra­ti­sche Hürden und Geneh­mi­gungen, die bewäl­tigt werden mussten“, erin­nern sich Vater und Tochter, die auch durch prak­ti­sches Auspro­bieren heraus­finden mussten, wie die gesamte Produk­ti­ons­an­lage aufge­baut werden sollte. Mit der Unter­stüt­zung verschie­dener Unter­nehmen, Forscher und anderer Betei­ligter wurden die verschie­denen Puzzle­stücke zusam­men­ge­fügt, und die Solda­ten­fliegen wurden erfolg­reich auf dem Betrieb ange­sie­delt.

Die Schwarze Solda­ten­fliege verwertet Nahrung effi­zi­enter als viele andere Nutz­tiere.

Trocken­futter

Rinder

Solda­ten­fliege

1 kg

Rind­fleisch

9 kg

Larven

Inno­va­tive Lösungen

Mit Blick in die Zukunft hoffen Carsten Lind Pedersen und Jane Lind Sam auf eine Auswei­tung der Insek­ten­pro­duk­tion in Däne­mark. „Ich sehe die Möglich­keit, dass Insekten künftig direkt in unsere Nahrung inte­griert werden, was einen posi­tiven Beitrag zur Gesund­heit leisten kann, ohne den Umweg über Schweine oder Fische gehen zu müssen“, erklärt Jane Lind Sam. Sie ist jedoch auch der Ansicht, dass es einige Zeit dauern wird, die rich­tigen Inhalts­stoffe zu entwi­ckeln, sie für die Verwen­dung als neuar­tige Lebens­mittel in der EU zuzu­lassen und sie erfolg­reich in die Wert­schöp­fungs­kette zu inte­grieren.

In der Zwischen­zeit soll die Anlage hoch­ge­fahren und im vollen Umfang in Betrieb genommen werden, um fest­zu­stellen, ob mehr als nur biolo­gi­sche Abfälle in die Nahrungs­kette einge­führt werden können – sei es direkt oder indi­rekt. Oder wie Carsten Lind Pedersen es formu­liert: „Wir sind stets auf der Suche nach inno­va­tiven Lösungs­an­sätzen.“

Über Enorm Biofac­tory A/S

  • Skan­di­na­viens größter Insek­ten­pro­du­zent
  • Eröff­nung im Jahr 2023
  • 24.000 m2 Gebäude (Produk­tion und Verwal­tung)
  • 8.000 m2 Stall­fläche
  • ca. 60 Mitar­beiter
  • 50.000 Tonnen jähr­liche Prote­in­pro­duk­tion
  • Gegründet von Carsten Lind Pedersen und Jane Lind Sam
  • 370 Mio DKK (ca. 50,5 Mio €), finan­ziert u. a. durch DLG, EIFO und Nykredit Bank
  • DLG ist Mitei­gen­tümer