Herr Reckleben, welchen Ruf hat die Gülle als Dünger bei Ackerbaubetrieben aus Ihrer Sicht?
Ich würde sagen, sie hat eigentlich gar keinen so schlechten Ruf. Das hat mehrere Gründe. Zunächst wären da die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte bei der Ausbringung. Schon der Schritt von der Breitverteilung der Gülle etwa durch Prallteller zum bodennahen Ausbringen hat viel dazu beigetragen, die Emissionsverluste in die Atmosphäre zu verringern. Die Nährstoffeffizienz stieg um 30 bis 35 % – nur durch diese Verteiltechnik. Je nach Anwendung lässt sich die Effizienz dann noch weiter erhöhen, wenn der Landwirt die Gülle etwa mit einem Schleppschlauch ausbringt und sie direkt danach einarbeitet.
Was im Vergleich zum Mineraldünger blieb, war die Ungewissheit, welche Nährstoffe tatsächlich ausgebracht wurden.

Yves Reckleben ist Professor für Land- und Verfahrenstechnik an der Fachhochschule Kiel. Foto: P.Knittler (FH-Kiel)
Das stimmt. Lange hatten besonders Ackerbauern, die an Mineraldünger gewohnt waren, die Sorge, dass sie mit der Gülle ein unkalkulierbares Nährstoffgemisch bekommen. Seitdem es jedoch in der Breite NIR-Sensoren gibt, ist die Menge der Nährstoffe messbar und die Unsicherheit bei deren Ausbringung deutlich geringer. So sprechen wir auch bei Gülle nicht länger von der Güllemasse in Kubikmetern, sondern von der Nährstoffmenge in Kilogramm.
Inwiefern gibt die aktuelle Wirtschaftslage und das gesellschaftliche Klima dem Wirtschaftsdünger weiter Auftrieb?
Die Mineraldüngerpreise gehen gerade durch die Decke. Da ist es klar, dass Alternativen deutlich attraktiver werden. Zugleich wird der Wert der Gülle mit Hilfe der NIR-Sensoren beziffer- und handelbar gemacht. Alle ökologisch wirtschaftenden Betriebe, die gar keinen Mineraldünger einsetzen, kennen den Wert der Wirtschaftsdünger schon lange. Wenn man an den gesellschaftlichen Wunsch nach nachhaltiger Landwirtschaft denkt, so ist die Gülle ein guter Schritt auf dem Weg dahin. Schließlich kommen wir durch ihre effiziente Nutzung deutlich näher an einen schlüssigen Kreislauf in der Landwirtschaft.
So arbeitet der NIR-Sensor
Gülle ist ein nährstoffreiches organisches Düngemittel. Bisher war jedoch eine erfolgreiche Gülledüngung aufgrund von natürlichen Nährstoffschwankungen und einem schnellen Absetzen von Sinkschichten eher dem Zufall überlassen. Mit NIR-Sensoren, wie dem John Deere HarvestLab, kann Gülle auf der Grundlage von Nährstoff-Zielwerten und Grenzwerten für N, P und K in kg/ha bedarfsgerecht ausgebracht werden.
Der Sensor liefert dabei statistisch gesicherte Daten in Echtzeit. Fehler, die normalerweise bei der manuellen Probenahme auftreten (wie z. B. Sauerstoff oder Hitzeexposition, bis die Probe im nächsten Labor ankommt) werden ausgeschlossen. Zudem werden alle Daten in Echtzeit angezeigt und ortsspezifisch dokumentiert. Dies ermöglicht den Fahrern, die Einstellungen anzupassen und sichert eine automatisierte Maschinenoptimierung bereits im Feld.
Wie verändert sich durch diese Trends die Beziehung zwischen Betrieben, die Gülle abgeben und denen, die Gülle aufnehmen?
Bislang war das so: Ein Schweinebauer in einer Veredlungsregion war froh, wenn er einen Betrieb in 200 Kilometer Entfernung gefunden hat, der ihm die Gülle abnimmt. Der abgebende Betrieb hat dann den Transport und die Ausbringkosten gezahlt. Aufgrund der steigenden Nährstoffpreise reden die beiden nun auf Augenhöhe. So einigt man sich irgendwo in der Mitte – einer zahlt den Transport, einer die Ausbringung.
Welche Rolle spielen Lohnunternehmer in dieser Beziehung?
Lohnunternehmer sind hier Schlüssel-Akteure. Meistens hat man ja als klassischer Ackerbaubetrieb kein eigenes Güllelager. Dabei ist die Frage der Logistik für die Ausbringung entscheidend: Ich brauche Zubringfahrzeuge und Verteilfahrzeuge und die müssen perfekt aufeinander abgestimmt sein. Wenn die Lohnunternehmer hier gut ausgestattet sind, können sie ausgesprochen gute Arbeit leisten. Und wenn sie dann auch noch einen NIR-Sensor haben, bringen sie die Sicherheit mit, dass der Nährstoff tatsächlich ankommt, wo er hinsoll. Das dokumentieren sie dann auch noch direkt auf dem Feld.
Wie hoch ist denn die Genauigkeit der NIR-Sensoren?
Das ist absolut schwer zu sagen, aber die Genauigkeit eines Messzeitpunkts mit dem NIR-Sensor im Vergleich zu einer Laborprobe spielt auch nicht die entscheidende Rolle. Viel wichtiger ist, welche neue Arbeitsweise der NIR-Sensor ermöglicht. Wenn ich an einem Tag eine einzige Referenzprobe aus meinem gut homogenisierten Güllelager ziehe, bevor ich die Gülle ausfahre, bekomme ich exakt einen Wert. Der spiegelt aber lediglich die Verhältnisse zu diesem Zeitpunkt wider. Wie es dann Stunden oder Tage später aussieht, weiß ich nicht.
Im Vergleich dazu habe ich mit dem NIR-Sensor sekündlich einen Wert beim Ausbringen. So bekomme ich eine viel höhere Genauigkeit, allein durch die Häufigkeit der Messung. Dann kann ich meinem Güllefass sagen: Fahr nach X Kilo N Gesamtstickstoff oder Ammonium-Stickstoff und habe damit eine konstante Nährstoffdosierung.
Modell- und Demonstrationsvorhaben NIRS bei der Wirtschaftsdüngerausbringung
Prof. Yves Reckleben leitet ein Modell- und Demonstrationsvorhaben mit dem Ziel, die Potenziale des Wirtschaftsdüngers besser zu bewerten und gezielt auszunutzen. An dem auf drei Jahre angelegten Projekt nehmen Betriebe und Lohnunternehmer aus vier Bundesländern Teil, die entweder bereits mit NIR-Sensoren arbeiten oder Interesse an der Technologie haben. Prof Reckleben erklärt: „Für mich geht es in dem Projekt weniger um eine rein wissenschaftliche Begleitung als um eine methodische Begleitung. Deshalb stellen wir die pflanzenbaulichen Aspekte in den Vordergrund: Was passiert bisher im Boden? Wie könnte man da mehr daraus machen?“
Mehr Informationen über das Modell- und Demonstrationsvorhaben finden Sie hier.