Biogas: Perspek­tiven trotz schwie­rigen Zeiten

Rund zehn Prozent der land­wirt­schaft­li­chen Umsätze werden mit und von Biogas erzielt. Diese ökono­mi­sche Dimen­sion macht deut­lich, welche wich­tige Rolle Biogas für den länd­li­chen Raum, aber auch für die deut­sche Ener­gie­wende insge­samt hat. Dabei gestalten sich Exper­tise und Produk­tion vari­an­ten­reich – wie folgende Beispiele zeigen.

Wenn auf dem Betrieb von Herwart von der Decken die Mais­ernte ansteht, dann wird geklotzt: Vom Häcksler bis zum Fest­fahren des Ernte­gutes auf der Silage direkt vor den Fermen­tern der Biogas­an­lage sind große Maschinen im Einsatz. Dabei erntet der tradi­ti­ons­reiche Gutshof Ruten­stein in Frei­burg an der Elbe, nur die Mais­körner, die vor dem Einsi­lieren geschrotet werden. „Das machen wir seit einigen Jahren mit großem Erfolg“, erklärt Betriebs­leiter von der Decken, „mit dieser Methode haben wir ein konzen­triertes Futter, welches konven­tio­nelles, meist aus Übersee impor­tiertes Kraft­futter, das ener­ge­tisch aufwändig anderswo getrocknet werden müsste, ersetzen kann.“

So landet das Mais­mehl in die Futter­tröge der zum Betrieb gehö­renden Milch­pro­duk­tion mit 500 Kühen, die man vor einigen Jahren über­nommen hat. Und auch die betriebs­ei­gene Biogas­an­lage mit 500 kW Leis­tung elek­trisch und doppelter Flex-Leis­tung wird neben Mais- und Gras­si­lage, Hühner­tro­ckenkot, Schweine- und Rinder­gülle auch mit dem selbst­pro­du­zierten Kraft­futter gefüt­tert.

Seit Inbe­trieb­nahme der Biogas­an­lage im Jahr 2012 wird Strom ins nord­nie­der­säch­si­sche Netz einge­speist und zusätz­lich ausrei­chend Wärme für das benach­barte Schul­zen­trum, Alten­heim, Land­handel und 17 Einzel­häuser, darunter auch das back­stei­nerne Schloss Ruten­stein, gelie­fert. Von den Fermen­tern der Anlage sind es Luft­linie nur rund fünf Kilo­meter zum still­ge­legten Atom­kraft­werk Brok­dorf, das sich auf der anderen Seite der Elbe, auf der schleswig-holstei­ni­schen Nord­seite befindet. Dessen eiför­miges Dach lugt über die Deich­krone hinweg.

Auf Gut Ruten­stein werden die Mais­körner vor dem Einsi­lieren geschrotet, um die Ener­gie­aus­beute zu erhöhen.

Das Erntegut wird fest­ge­fahren.

Die geogra­fi­sche Szenerie von Biogas­an­lage und Atom­kraft­werk verkör­pert stück­weit die von der Bundes­re­pu­blik in den letzten zwei Jahr­zehnten einge­schla­genen Ener­gie­kurs – raus aus der Atom­kraft, weg von den fossilen Ener­gie­trä­gern, hinein in die erneu­er­baren Ener­gien.

Den Einstieg in die Erneu­er­baren hat von der Decken nicht nur mit dem Bau der Biogas­an­lage, sondern auch mit der Errich­tung von Wind­ener­gie­an­lagen auf eigener Fläche sowie Photo­vol­taik auf Hofge­bäuden zu einem großen Teil schon voll­bracht. „Klar, jeder erfolg­reich wirt­schaf­tende land­wirt­schaft­liche Betrieb sollte sich perma­nent mit Ener­gie­fragen beschäf­tigen“, unter­streicht der Betriebs­leiter, der auf 500 Hektar klas­si­schen Ackerbau mit Weizen, Gerste, Hafer, Raps, Mais, Acker­bohnen, Zucker­rüben und Acker­gras managt.

Jeder erfolg­reich wirt­schaf­tende land­wirt­schaft­liche Betrieb sollte sich perma­nent mit Ener­gie­fragen beschäf­tigen.

Herwart von der Decken

Darüber hinaus gibt es einen weiteren Geschäfts­be­reich, in dem Tech­niken zur Gülle­ver­schlau­chung ange­boten werden. Trotz „Ener­gie­preis­krise“ hält der Mitt­vier­ziger wenig von Panik­mache. „Die Preis­er­hö­hungen sind ein Faktor, keine Frage. Aller­dings sind sie etwas über­schätzt. Wenn der Diesel­preis pro Liter von 1,20 Euro auf 1,70 Euro steigt, dann schlägt sich das pro Hektar am Ende mit 50 Euro nieder. Das ist letzt­lich nicht entschei­dend, viel wich­tiger ist, dass ich gute Ernten einfahre und die acker­bau­li­chen Dinge tue, die ich tun muss“, so von der Decken.

Luft nach oben beim Biogas

Der weit größte Teil der knapp 10.000 Biogas­an­lagen in Deutsch­land werden von land­wirt­schaft­li­chen Betrieben wie in Frei­burg an der Elbe betrieben. Insge­samt erzielt die deut­sche Land­wirt­schaft mit Biogas einen Brut­to­um­satz von fünf bis sechs Milli­arden Euro. Rund zwei Millionen Hektar Ener­gie­pflanzen, haupt­säch­lich Mais, aber auch Gras, Zucker­rüben, Klee­gras, Durch­wach­sende Silphie, Blüh­mi­schungen und andere Früchte, landen in den Gärtöpfen. Nach Schät­zungen von Bran­chen­ken­nern liegt der Anteil der in Biogas­an­lagen vergo­renen Gülle und Mist bei derzeit etwa 25 bis 30 Prozent: Da ist also noch Luft nach oben.

Und so gibt es hinsicht­lich der kommenden Auflagen zur Emis­si­ons­min­de­rung an die Land­wirt­schaft noch ein großes Poten­zial, um mit einer weiter gestei­gerten ener­ge­ti­schen Verwer­tung von Gülle & Mist die ambi­tio­nierten Klima­schutz­ziele tatsäch­lich bewerk­stel­ligen zu können. Unab­hängig der fort­schrei­tenden Gülle­ver­gä­rung ist auch weitere Entwick­lung in der Aufbe­rei­tung von Biogas denkbar: Es gibt erste Ansätze, das im Biogas enthal­tende CO2 zu sepa­rieren – biolo­gisch oder tech­nisch – und dieses dann in Verbin­dung mit Wasser­stoff in weiteres Methan zu verwan­deln. Wie schnell aber diese Option in der Praxis ankommen wird, ist noch nicht sicher.

Die Stadt­werke Greves­mühlen GmbH betreiben in Koope­ra­tion mit benach­barten Land­wirten zwei Biogas­an­lagen, die Strom und Wärme für die Bewohner der Klein­stadt im nord­west­li­chen Meck­len­burg bereit­stellt, Foto: Andreas Birres­born

Ebenso lässt sich schwer abschätzen, ob die Direkt­ein­spei­sung von Biome­than ins Gasnetz oder zur Bereit­stel­lung an Tank­stellen in Zeiten des Gasman­gels signi­fi­kant zunehmen wird. Bisher liegt der Anteil der von Biome­than bei rund einem Prozent des bundes­deut­schen Gasbe­darfs. Theo­re­tisch könnte dieser Anteil deut­lich ansteigen, wenn der bisher weitaus größte Teil der Biogas­an­lagen statt Strom und Wärme zu produ­zieren zukünftig Gas erzeugen würden. Doch ist diese Umstel­lung nicht von heute auf morgen zu haben. Denn aktuell ist der Biogas­strom für ein stabiles Strom­netz unge­mein wichtig, weil er auch in soge­nannten Dunkel­zeiten, wenn nicht die Sonne scheint und der Wind nicht weht, die Erzeu­gungs­lücke schließen kann.

Um diesen Bedarf, der in Last­spitzen nach oben schnellt, zu decken, ist auf vielen Biogas­an­lagen eine soge­nannte Über­bauung erfolgt: die ursprüng­liche Leis­tung ist mit zusätz­li­chen Aggre­gaten ausge­stattet worden, so dass je nach Mark­be­darf für kurze Zeiten entweder eine zwei- oder drei- oder sogar vier­fache Leis­tung bereit­ge­stellt werden kann. Für dieje­nigen Betriebe, die in diese soge­nannte Flexi­bi­li­sie­rung in den letzten Jahren inves­tiert haben, ist ein plötz­li­cher Wechsel auf eine Methan­ein­spei­sung verständ­li­cher­weise nicht möglich.

Biogas­an­lage an der West­küste Schleswig-Holsteins

Wich­tiger Beitrag zur Ener­gie­ver­sor­gung Deutsch­lands

Welche Bedeu­tung Biogas und die Bioen­ergie insge­samt tatsäch­lich für die bundes­deut­sche Strom­ver­sor­gung in der Ener­gie­wende schon jetzt hat, zeigt eine Notiz der Bundes­netz­agentur im späten Herbst. Sie teilte mit, dass die Strom­erzeu­gung aus Biomasse am grauen und fast wind­stillen 29. November sogar über der aus Wind und weit vor der Photo­vol­taik lag. Tatsäch­lich werde Biogas vom Ener­gie­markt, so Bran­chen­kenner, inzwi­schen dezi­diert nach­ge­fragt. Beson­ders dasje­nige Biogas, das inner­halb der euro­päi­schen Biomass­estra­tegie als beson­ders nach­haltig erachtet wird, also aus Abfällen, Gülle und Mist oder dem Ökolandbau kommt, hat große wirt­schaft­liche Chancen.

Das hört jemand wie Lothar Braun-Keller, einer der wenigen im Bioland-Verband, der auf Biogaser­zeu­gung setzt, natür­lich gerne. Er schätzt, dass es unge­fähr 180 Anlagen in Deutsch­land gibt, die nicht, wie er es formu­liert, „Agro-Biogas“, sondern „Öko-Biogas“ erzeugen. Aber ob nun dies oder das, letzt­lich „mag keiner uns Schmud­del­kinder, die mit Biogas zu tun haben“, sagt Braun-Keller schmun­zelnd. Er kann mit dem schlechten Image gut leben. Und zwar seit 1996, als seine erste Anlage mit einer instal­lierten Leis­tung von 45 kW elek­trisch auf seinem Hof in Leiber­tingen auf der Schwä­bi­schen Alb an den Start ging. Mitt­ler­weile ist die Anlage auf 860 kW Leis­tung ange­wachsen, die im Flex-betrieb gefahren wird. Neben dem Strom aus der Biogas­an­lage gibt es noch große PV-Anlagen auf Wirt­schafts­ge­bäuden, die einen großen Teil des Eigen­be­darfs abde­cken helfen.

Lothar Braun-Keller erzeugt auf seinem Betrieb nicht nur Biogas im Flex­be­trieb, sondern auch Strom aus Photo­vol­ta­ik­an­lagen.

Zugleich versorgt die Biogas­an­lage auf dem Hof mit einem Satel­liten-BHKW zwei von der Gemeinde Leiber­tingen betrie­bene Nahwär­me­netze. Im Sommer, in der Wärme­senke, bietet Braun-Keller über­dies eine Lohn­trock­nung für benach­barte Land­wirte an. Die Fermenter werden dabei zu 35 Prozent mit Rinder­mist, etwas Durch­wach­sene Silphie (2, 5 Hektar mit einem Anteil von 0,6 Prozent am Gesamt­sub­strat) und über 64 Prozent mit Gras und Klee gefüt­tert. Insge­samt 13.000 Tonnen pro Jahr.

Ich betrachte zual­ler­erst die posi­tive Wirkung von Biogas auf die gesamte Land­wirt­schaft.

Lothar Braun-Keller

Braun-Keller ist vom Jammern weit entfernt, denn die Biogas­an­lage inte­griert auf seinem Hof, den er mit fünf Mitar­bei­tern und zehn weiteren Ange­stellten auf 450-Euro-Basis betreibt, hat sich bewährt. Dabei ist der Land­wirt trotz der grünen Ener­gie­pro­duk­tion, wie er betont, „erst einmal Bauer. Denn ich betrachte zual­ler­erst die posi­tive Wirkung von Biogas auf die gesamte Land­wirt­schaft.“ Die Biogaser­zeu­gung solle seiner Meinung nach ohne Abstriche der Land­wirt­schaft dienen. Was sie am Standort Leiper­tingen offenbar macht.

„Unsere humus­armen, kalkigen Böden auf der Schwä­bi­schen Alb sind dankbar für die stick­stoff­rei­chen Gärreste. Ohne jetzt genau den Humus­aufbau defi­nieren zu können, stellen wir aber einfach fest, dass unsere Ernte­mengen in einer viel­fäl­tigen Frucht­folge höher als früher ausfallen – trotz der Trocken­heit, die auch wir in den letzten Jahren hier erlebt haben“, konsta­tiert Keller-Braun zufrieden. Der Süddeut­sche ist sich deshalb sicher: Er hält 9.000 Mega­watt Leis­tung elek­trisch aus nach­haltig erzeugtem Biogas für denkbar. Das Methan-Äqui­va­lent dazu könnte einen großen Teil des früheren Gasim­portes decken helfen. Das sind doch mal gute Perspek­tiven.

Biogas in Deutsch­land

In Deutsch­land gibt es rund 10.000 Biogas­an­lagen. Davon wird der weitaus größte Teil von land­wirt­schaft­li­chen Betrieben betrieben. Die instal­lierte Leis­tung reicht von unter 100 kW (Gülle)Kleinanlagen bis hin zu Multi-Mega­watt-BHKWs. Zusam­men­ge­rechnet kommt die bundes­deut­sche Biogas­branche auf eine Leis­tung von knapp 4.000 MW und knapp 2.000 Mega­watt flexi­bler Kapa­zi­täten. Die bei der Strom­erzeu­gung entste­hende Abwärme kann umge­rechnet 1,1 Millionen Haus­halte ausrei­chend mit Wärme versorgen, davon profi­tieren vor allem viele Dörfer in ganz Deutsch­land schon heute. Zudem speist ein kleiner Anteil der Biogas­an­lagen, rund 250, Methan direkt ins Gasnetz ein; dabei wird mit einer soge­nannten Metha­ni­sie­rung das im Biogas enthal­tene Kohlen­di­oxid abge­schieden. Noch wird dieses sepa­rierte CO2 noch nicht verwertet, doch wird sich das schon bald ändern, weil sich daraus mit Hilfe von Wasser­stoff weiteres Methan herstellen lässt. Auch die Geträn­ke­indus­trie ist an diesem wert­vollen Rohstoff inter­es­siert.

Zudem: Derzeit entstehen in Deutsch­land die ersten Bio-LNG-Anlagen, wie beispiels­weise in Darchau im östlichsten Zipfel von Nieder­sachsen, bei dem aus Biome­than nach­hal­tiger Kraft­stoff entsteht.