Wenn auf dem Betrieb von Herwart von der Decken die Maisernte ansteht, dann wird geklotzt: Vom Häcksler bis zum Festfahren des Erntegutes auf der Silage direkt vor den Fermentern der Biogasanlage sind große Maschinen im Einsatz. Dabei erntet der traditionsreiche Gutshof Rutenstein in Freiburg an der Elbe, nur die Maiskörner, die vor dem Einsilieren geschrotet werden. „Das machen wir seit einigen Jahren mit großem Erfolg“, erklärt Betriebsleiter von der Decken, „mit dieser Methode haben wir ein konzentriertes Futter, welches konventionelles, meist aus Übersee importiertes Kraftfutter, das energetisch aufwändig anderswo getrocknet werden müsste, ersetzen kann.“
So landet das Maismehl in die Futtertröge der zum Betrieb gehörenden Milchproduktion mit 500 Kühen, die man vor einigen Jahren übernommen hat. Und auch die betriebseigene Biogasanlage mit 500 kW Leistung elektrisch und doppelter Flex-Leistung wird neben Mais- und Grassilage, Hühnertrockenkot, Schweine- und Rindergülle auch mit dem selbstproduzierten Kraftfutter gefüttert.
Seit Inbetriebnahme der Biogasanlage im Jahr 2012 wird Strom ins nordniedersächsische Netz eingespeist und zusätzlich ausreichend Wärme für das benachbarte Schulzentrum, Altenheim, Landhandel und 17 Einzelhäuser, darunter auch das backsteinerne Schloss Rutenstein, geliefert. Von den Fermentern der Anlage sind es Luftlinie nur rund fünf Kilometer zum stillgelegten Atomkraftwerk Brokdorf, das sich auf der anderen Seite der Elbe, auf der schleswig-holsteinischen Nordseite befindet. Dessen eiförmiges Dach lugt über die Deichkrone hinweg.
Die geografische Szenerie von Biogasanlage und Atomkraftwerk verkörpert stückweit die von der Bundesrepublik in den letzten zwei Jahrzehnten eingeschlagenen Energiekurs – raus aus der Atomkraft, weg von den fossilen Energieträgern, hinein in die erneuerbaren Energien.
Den Einstieg in die Erneuerbaren hat von der Decken nicht nur mit dem Bau der Biogasanlage, sondern auch mit der Errichtung von Windenergieanlagen auf eigener Fläche sowie Photovoltaik auf Hofgebäuden zu einem großen Teil schon vollbracht. „Klar, jeder erfolgreich wirtschaftende landwirtschaftliche Betrieb sollte sich permanent mit Energiefragen beschäftigen“, unterstreicht der Betriebsleiter, der auf 500 Hektar klassischen Ackerbau mit Weizen, Gerste, Hafer, Raps, Mais, Ackerbohnen, Zuckerrüben und Ackergras managt.
Jeder erfolgreich wirtschaftende landwirtschaftliche Betrieb sollte sich permanent mit Energiefragen beschäftigen.
Herwart von der Decken
Darüber hinaus gibt es einen weiteren Geschäftsbereich, in dem Techniken zur Gülleverschlauchung angeboten werden. Trotz „Energiepreiskrise“ hält der Mittvierziger wenig von Panikmache. „Die Preiserhöhungen sind ein Faktor, keine Frage. Allerdings sind sie etwas überschätzt. Wenn der Dieselpreis pro Liter von 1,20 Euro auf 1,70 Euro steigt, dann schlägt sich das pro Hektar am Ende mit 50 Euro nieder. Das ist letztlich nicht entscheidend, viel wichtiger ist, dass ich gute Ernten einfahre und die ackerbaulichen Dinge tue, die ich tun muss“, so von der Decken.
Luft nach oben beim Biogas
Der weit größte Teil der knapp 10.000 Biogasanlagen in Deutschland werden von landwirtschaftlichen Betrieben wie in Freiburg an der Elbe betrieben. Insgesamt erzielt die deutsche Landwirtschaft mit Biogas einen Bruttoumsatz von fünf bis sechs Milliarden Euro. Rund zwei Millionen Hektar Energiepflanzen, hauptsächlich Mais, aber auch Gras, Zuckerrüben, Kleegras, Durchwachsende Silphie, Blühmischungen und andere Früchte, landen in den Gärtöpfen. Nach Schätzungen von Branchenkennern liegt der Anteil der in Biogasanlagen vergorenen Gülle und Mist bei derzeit etwa 25 bis 30 Prozent: Da ist also noch Luft nach oben.
Und so gibt es hinsichtlich der kommenden Auflagen zur Emissionsminderung an die Landwirtschaft noch ein großes Potenzial, um mit einer weiter gesteigerten energetischen Verwertung von Gülle & Mist die ambitionierten Klimaschutzziele tatsächlich bewerkstelligen zu können. Unabhängig der fortschreitenden Güllevergärung ist auch weitere Entwicklung in der Aufbereitung von Biogas denkbar: Es gibt erste Ansätze, das im Biogas enthaltende CO2 zu separieren – biologisch oder technisch – und dieses dann in Verbindung mit Wasserstoff in weiteres Methan zu verwandeln. Wie schnell aber diese Option in der Praxis ankommen wird, ist noch nicht sicher.
Ebenso lässt sich schwer abschätzen, ob die Direkteinspeisung von Biomethan ins Gasnetz oder zur Bereitstellung an Tankstellen in Zeiten des Gasmangels signifikant zunehmen wird. Bisher liegt der Anteil der von Biomethan bei rund einem Prozent des bundesdeutschen Gasbedarfs. Theoretisch könnte dieser Anteil deutlich ansteigen, wenn der bisher weitaus größte Teil der Biogasanlagen statt Strom und Wärme zu produzieren zukünftig Gas erzeugen würden. Doch ist diese Umstellung nicht von heute auf morgen zu haben. Denn aktuell ist der Biogasstrom für ein stabiles Stromnetz ungemein wichtig, weil er auch in sogenannten Dunkelzeiten, wenn nicht die Sonne scheint und der Wind nicht weht, die Erzeugungslücke schließen kann.
Um diesen Bedarf, der in Lastspitzen nach oben schnellt, zu decken, ist auf vielen Biogasanlagen eine sogenannte Überbauung erfolgt: die ursprüngliche Leistung ist mit zusätzlichen Aggregaten ausgestattet worden, so dass je nach Markbedarf für kurze Zeiten entweder eine zwei- oder drei- oder sogar vierfache Leistung bereitgestellt werden kann. Für diejenigen Betriebe, die in diese sogenannte Flexibilisierung in den letzten Jahren investiert haben, ist ein plötzlicher Wechsel auf eine Methaneinspeisung verständlicherweise nicht möglich.
Wichtiger Beitrag zur Energieversorgung Deutschlands
Welche Bedeutung Biogas und die Bioenergie insgesamt tatsächlich für die bundesdeutsche Stromversorgung in der Energiewende schon jetzt hat, zeigt eine Notiz der Bundesnetzagentur im späten Herbst. Sie teilte mit, dass die Stromerzeugung aus Biomasse am grauen und fast windstillen 29. November sogar über der aus Wind und weit vor der Photovoltaik lag. Tatsächlich werde Biogas vom Energiemarkt, so Branchenkenner, inzwischen dezidiert nachgefragt. Besonders dasjenige Biogas, das innerhalb der europäischen Biomassestrategie als besonders nachhaltig erachtet wird, also aus Abfällen, Gülle und Mist oder dem Ökolandbau kommt, hat große wirtschaftliche Chancen.
Das hört jemand wie Lothar Braun-Keller, einer der wenigen im Bioland-Verband, der auf Biogaserzeugung setzt, natürlich gerne. Er schätzt, dass es ungefähr 180 Anlagen in Deutschland gibt, die nicht, wie er es formuliert, „Agro-Biogas“, sondern „Öko-Biogas“ erzeugen. Aber ob nun dies oder das, letztlich „mag keiner uns Schmuddelkinder, die mit Biogas zu tun haben“, sagt Braun-Keller schmunzelnd. Er kann mit dem schlechten Image gut leben. Und zwar seit 1996, als seine erste Anlage mit einer installierten Leistung von 45 kW elektrisch auf seinem Hof in Leibertingen auf der Schwäbischen Alb an den Start ging. Mittlerweile ist die Anlage auf 860 kW Leistung angewachsen, die im Flex-betrieb gefahren wird. Neben dem Strom aus der Biogasanlage gibt es noch große PV-Anlagen auf Wirtschaftsgebäuden, die einen großen Teil des Eigenbedarfs abdecken helfen.
Zugleich versorgt die Biogasanlage auf dem Hof mit einem Satelliten-BHKW zwei von der Gemeinde Leibertingen betriebene Nahwärmenetze. Im Sommer, in der Wärmesenke, bietet Braun-Keller überdies eine Lohntrocknung für benachbarte Landwirte an. Die Fermenter werden dabei zu 35 Prozent mit Rindermist, etwas Durchwachsene Silphie (2, 5 Hektar mit einem Anteil von 0,6 Prozent am Gesamtsubstrat) und über 64 Prozent mit Gras und Klee gefüttert. Insgesamt 13.000 Tonnen pro Jahr.
Ich betrachte zuallererst die positive Wirkung von Biogas auf die gesamte Landwirtschaft.
Lothar Braun-Keller
Braun-Keller ist vom Jammern weit entfernt, denn die Biogasanlage integriert auf seinem Hof, den er mit fünf Mitarbeitern und zehn weiteren Angestellten auf 450-Euro-Basis betreibt, hat sich bewährt. Dabei ist der Landwirt trotz der grünen Energieproduktion, wie er betont, „erst einmal Bauer. Denn ich betrachte zuallererst die positive Wirkung von Biogas auf die gesamte Landwirtschaft.“ Die Biogaserzeugung solle seiner Meinung nach ohne Abstriche der Landwirtschaft dienen. Was sie am Standort Leipertingen offenbar macht.
„Unsere humusarmen, kalkigen Böden auf der Schwäbischen Alb sind dankbar für die stickstoffreichen Gärreste. Ohne jetzt genau den Humusaufbau definieren zu können, stellen wir aber einfach fest, dass unsere Erntemengen in einer vielfältigen Fruchtfolge höher als früher ausfallen – trotz der Trockenheit, die auch wir in den letzten Jahren hier erlebt haben“, konstatiert Keller-Braun zufrieden. Der Süddeutsche ist sich deshalb sicher: Er hält 9.000 Megawatt Leistung elektrisch aus nachhaltig erzeugtem Biogas für denkbar. Das Methan-Äquivalent dazu könnte einen großen Teil des früheren Gasimportes decken helfen. Das sind doch mal gute Perspektiven.
Biogas in Deutschland
In Deutschland gibt es rund 10.000 Biogasanlagen. Davon wird der weitaus größte Teil von landwirtschaftlichen Betrieben betrieben. Die installierte Leistung reicht von unter 100 kW (Gülle)Kleinanlagen bis hin zu Multi-Megawatt-BHKWs. Zusammengerechnet kommt die bundesdeutsche Biogasbranche auf eine Leistung von knapp 4.000 MW und knapp 2.000 Megawatt flexibler Kapazitäten. Die bei der Stromerzeugung entstehende Abwärme kann umgerechnet 1,1 Millionen Haushalte ausreichend mit Wärme versorgen, davon profitieren vor allem viele Dörfer in ganz Deutschland schon heute. Zudem speist ein kleiner Anteil der Biogasanlagen, rund 250, Methan direkt ins Gasnetz ein; dabei wird mit einer sogenannten Methanisierung das im Biogas enthaltene Kohlendioxid abgeschieden. Noch wird dieses separierte CO2 noch nicht verwertet, doch wird sich das schon bald ändern, weil sich daraus mit Hilfe von Wasserstoff weiteres Methan herstellen lässt. Auch die Getränkeindustrie ist an diesem wertvollen Rohstoff interessiert.
Zudem: Derzeit entstehen in Deutschland die ersten Bio-LNG-Anlagen, wie beispielsweise in Darchau im östlichsten Zipfel von Niedersachsen, bei dem aus Biomethan nachhaltiger Kraftstoff entsteht.