Bio neu denken: vom Boden bis zur Kuh

Die Milch­wirt­schaft steht häufig wegen ihrer Umwelt­aus­wir­kungen in die Kritik. Ein Biomilch-Erzeuger will – zusammen mit Berufs­kol­legen – dieses Narrativ durch die Entwick­lung eines nach­hal­tigen Ansatzes der Milch­er­zeu­gung infrage stellen.

Biolo­gical Farmers ist ein Zusam­men­schluss briti­scher Land­wirte. Die Grün­dung erfolgte im März 2024 durch den Land­wirt Wil Armi­tage aus Leices­ter­shire und Colin Hanson-Orr von Forage Tech. Die Gruppe hat sich zum Ziel gesetzt, Erzeuger über biolo­gi­sche Alter­na­tiven aufzu­klären und wie sie auf Grund­lage wissen­schaft­li­cher Erkennt­nissen die Zukunft ihrer Betriebe beein­flussen können. Geleitet wird die Verei­ni­gung durch Wil und Jess Armi­tage.

Wil bringt reich­lich Erfah­rung mit: Mit nur 22 Jahren begann er seine Tätig­keit als Herden­ma­nager auf der Keythorpe Farm bei Leicester. Damals strebten sie nach den höchsten Milch­er­trägen und gewannen zweimal den renom­mierten NMR/RABDF Gold Cup mit einem Herd­en­durch­schnitt von über 12.000 kg/Kuh im Jahr 2000.  

Der Besitzer Peter Dixon Smith bot Wil einen Pacht­ver­trag für einen land­wirt­schaft­li­chen Betrieb an. Leider ließ sich das in der Praxis nicht umsetzen und so grün­deten sie 2004 eine Part­ner­schaft. Inzwi­schen halten sie zwei Milch­vieh­herden: eine mit 350 Kühen für die Herbst­kal­bung und eine mit 180 Kühen für die Früh­jahrskal­bung. Beide Herden bestehend aus Holstein-Rindern. Darüber hinaus bewirt­schaften sie einen weiteren Milch­vieh­be­trieb im Rahmen eines Bewirt­schaf­tungs­ver­trags.

Biolo­gical Farmers will Milch­er­zeuger über biolo­gi­sche Alter­na­tiven aufklären und so Zukunfts­per­spek­tiven für ihre Betriebe aufzu­zeigen.

Umstel­lung auf biolo­gi­sche Land­wirt­schaft 

Am Anfang der Part­ner­schaft erkannte Wil, dass er mit einem konven­tio­nellen Milch­vieh­be­trieb zwar seinen Lebens­un­ter­halt bestreiten konnte, aber nicht in der Lage war, das Geschäft weiter auszu­bauen und einen größeren Gewinn zu erzielen. Trotz einiger Bedenken von Peter stellte Wil 2005 auf biolo­gi­sche Land­wirt­schaft um. „Der Betrieb wurde bis 1990 als konven­tio­neller Acker­bau­be­trieb bewirt­schaftet und die Boden­struktur war kata­stro­phal“, sagt er. „Der Einstieg in die Kuhhal­tung führte zwar zu Verbes­se­rungen, aber es gab noch viel zu tun.“  Die Entschei­dung wurde aus finan­zi­ellen Gründen getroffen. „Die Marge beim Biomilch­preis lag damals zwischen 10 und 12 Pence pro Liter; plötz­lich waren wir profi­ta­bler als konven­tio­nelle Betriebe, und Peter begann, dem mehr Beach­tung zu schenken.“

Fünf Jahre später stagnierten die Gewinne, und 2013 erhielt Wil ein Nuffield-Stipen­dium, um nach­hal­tige Milch­wirt­schaft zu studieren. Dabei reiste er nach Däne­mark, Schweden, Amerika, Austra­lien und Neusee­land. „Ich stellte fest, dass Land­wirte, die sich leiden­schaft­lich um ihren Boden kümmern, gute Feld­früchte und gutes Vieh haben“, sagt er. Als ehema­liger Gold Cup Gewinner und Preis­richter für Holstein-Richter bemerkte er, dass die besten Bio-Herden die gesün­desten Tiere hatten. Als er sich einge­hender mit dem Thema beschäf­tigte, stieß er auf Unter­su­chungen, die auf einen Zusam­men­hang zum Calcium-Magne­sium-Verhältnis im Boden hindeu­teten. „Meine Inter­esse konzen­trierte sich daraufhin stärker auf den Boden.“ Wil absol­vierte zusätz­lich einen Kurs in Boden­chro­ma­to­gra­phie, in dem auf die Synergie zwischen Wieder­käuern und Boden­mi­kroben hinge­wiesen wurde.

Nach seiner Rück­kehr nach Keythorpe analy­sierte er seine eigenen Böden. Obwohl Wil seit 2005 keinen Phos­phat- oder Kali­dünger mehr verwendet, sind die Nähr­stoff­werte durch den Einsatz von Rinder­gülle hoch. Auch seine Dauer­weide entwi­ckelt sich gut: „Wir bewirt­schaften seit 28 Jahren dieselbe Weide; sie bringt im Jahr 11 bis 12 Tonnen Trocken­masse pro Hektar, daher möchte ich sie nicht umpflügen.“ Wil baut auch Bio-Futter­rüben an, eine ideale Ergän­zung in der Futter­ra­tion. „Wir ernten die Rüben drei Wochen vor der Besa­mung der Kühe, damit sie kurz vor Beginn der Zucht einen Ener­gie­schub bekommen und sie trächtig werden“, erklärt er. „Nach der Ernte der Futter­rüben legen wir eine Ganz­pflan­zen­mi­schung aus Hafer, Gerste, Erbsen, Bohnen und Wicken an, die je nach Unkraut­be­las­tung mit Gras und Klee unter­gesät wird.“ 

In den letzten sechs oder sieben Jahren stand die ökolo­gi­sche Land­wirt­schaft unter erheb­li­chem Druck, und die ökolo­gi­schen Milch­er­zeuger konnten nicht mit den konven­tio­nellen Betrieben konkur­rieren, so Wil. „Im März 2024 haben wir unseren Vertrags­be­trieb aus der ökolo­gi­schen Produk­tion heraus­ge­nommen, da er kein ausrei­chendes Einkommen mehr erzielte. Glück­li­cher­weise werden die beiden anderen Betriebe weiterhin ökolo­gisch bewirt­schaftet, da die Marge wieder auf 10 Pence pro Liter gestiegen ist. Das ist notwendig, um die zusätz­li­chen Kosten zu decken.“ 

Trotz biolo­gi­scher Bewirt­schaf­tung in Keythorpe verwendet Wil Silier­mittel. „Wir können andere Produkte aufgrund unseres ökolo­gi­schen Systems nur begrenzt einsetzen, daher verwenden wir die von Colin empfoh­lenen Mittel. Seitdem haben wir eine Verbes­se­rung der Schmack­haf­tig­keit des Futters im gesamten Betrieb fest­ge­stellt.“

Ziel der ökolo­gi­sche Milch­pro­duk­tion ist es, den CO2-Fußab­druck stetig zu verrin­gern.
Wil Armi­tage mit Tochter Jess auf der Weide bei den Kühen.

Wils Kinder Jess und Giles sind beide leiden­schaft­liche Milch­bauern, die eben­falls im Betrieb arbeiten. Giles leitet einen der Milch­vieh­be­triebe, während Jess für die Kälber­auf­zucht und die Büro­ar­beit zuständig ist. Sie wird auch die Leitung der Biolo­gical Farmers über­nehmen. „Die erste Veran­stal­tung der Biolo­gical Farmers fand im Juli in Keythorpe statt, und über 100 Personen nahmen teil. Das zeigt den Bedarf und das Inter­esse“, sagt Wil. Er hofft, dass die Gruppe in Zukunft weiter wächst. „Das Ziel ist es, eine Reihe von Work­shops für Land­wirte zu veran­stalten, die sich zunächst mit den Böden, dann mit den Pflanzen und schließ­lich mit den Tieren mit einem beson­deren Fokus auf deren Ernäh­rung befassen. 

„In Keythorpe ist es mein Ziel mit unserer ökolo­gi­schen Milch­pro­duk­tion weiter­zu­ma­chen. Unser CO2-Fußab­druck beträgt derzeit 1,01 kg/Liter, und ich hoffe, dass wir eines Tages Netto-Null errei­chen.“ Es wäre toll, wenn wir beweisen könnten, dass Kühe nicht das Problem, sondern ein wesent­li­cher Teil der Lösung sind.“

FORUM: Biolo­gi­sche Land­wirt­schaft – Das Konzept 

Colin Hanson-Orr, Leiter der Forschungs- und Entwick­lungs­ab­tei­lung bei Forage Tech, ist seit 1979 in der Branche tätig und glaubt, dass die biolo­gi­sche Land­wirt­schaft nicht mehr nur eine Option, sondern eine Notwen­dig­keit für das Über­leben briti­scher Land­wirt­schafts­be­triebe ist. „Biolo­gi­sche Land­wirt­schaft ist eine natür­liche Art der Land­wirt­schaft; sie nutzt das, was in den Betrieben bereits vorhanden ist“, sagt er.  

Die Gruppe Biolo­gical Farmers wurde ursprüng­lich gegründet, um Land­wirte bei der Bewäl­ti­gung der Heraus­for­de­rungen zu unter­stützen, die sich aus den nitrat­ge­fähr­deten Gebieten (NVZ) und anderen Vorschriften ergeben. Eine durch­schnitt­liche briti­sche Milchkuh mit einem Ertrag von 8.000 Litern pro Jahr kann in ihrer Gülle so viel Stick­stoff produ­zieren, dass der NVZ-Grenz­wert von 170 kg N/ha pro Jahr über­schritten wird. Bei einem durch­schnitt­li­chen Vieh­be­satz von 2,39 Kühen pro Hektar müssen die Land­wirte ihren Vieh­be­satz um 58 % auf eine Kuh pro Hektar oder weniger redu­zieren, um die NVZ-Vorschriften zu erfüllen. 

Gülle kann entweder als proble­ma­tisch oder als wich­tige Quelle für Boden­nähr­stoffe ange­sehen werden. Die Behand­lung von Gülle mit nütz­li­chen Mikroben kann die Frei­set­zung von Nähr­stoffen verbes­sern und gleich­zeitig schäd­liche Emis­sionen redu­zieren. Bacillus ist ein Bakte­rium, das Gülle zersetzt und die Nähr­stoffe – wie Stick­stoff, Phos­phor und Kalium – besser löslich macht. Einmal im Boden fördern sie das Wurzel­wachstum und die Wurzel­ent­wick­lung, indem sie die wachs­tums­för­dernde Mikro­flora und die Nähr­stoff­auf­nahme erleich­tern. 

Ammo­niak in der Gülle kann umwelt­schäd­lich sein, aber Bacillus baut es zu Ammo­nium ab. Bacillus-Arten können ferner dazu beitragen, orga­ni­sche Substanz in der Gülle abzu­bauen, sodass diese flüs­siger wird und vom Boden leichter aufge­nommen werden kann. Das bedeutet, dass die Gülle bei der Ausbrin­gung auf den Feldern besser in den Boden eindringen kann und nütz­liche Bakte­rien sowie Nähr­stoffe tiefer in das Boden­profil trans­por­tiert. 

Diese Bakte­rien tragen auch dazu bei, eine bessere Umge­bung für andere nütz­liche Mikroben zu schaffen – den soge­nannten Biofilm. Dabei handelt es sich um eine Schutz­schicht im Boden, die verschie­dene Mikro­or­ga­nismen unter­stützt und zudem hilft, weniger hilf­reiche oder sogar schäd­liche Mikroben zu verdrängen. 

Wil Armi­tage grün­dete den Zusam­men­schluss Biolo­gical Farmers.

Der Einsatz von nütz­li­chen Bakte­rien kann auch die Qualität der Silage und die Stick­stoff­bin­dung im Boden verbes­sern. Diazo­trophe sind stick­stoff­fi­xie­rende Bakte­rien, die N2 aus der Atmo­sphäre aufnehmen und in NH3 (Ammo­niak) umwan­deln, welches dann von der wach­senden Feld­frucht genutzt werden kann. Dadurch wird die Produk­ti­vität erhöht und der Bedarf an Mine­ral­dünger verrin­gert. TwinN ist ein Diazo­troph, das direkt in land­wirt­schaft­li­chen Betrieben erprobt wurde und in kleinen Fläsch­chen gelie­fert wird, die jeweils einen Hektar abde­cken. Der Einsatz von TwinN anstelle von Harn­stoff würde eine Redu­zie­rung von 70 kg Harn­stoff pro Hektar ermög­li­chen, was einen CO2-Fußab­druck von 275 kg CO2e pro Hektar einsparen würde.  

Colin gehörte zu den ersten, die Silage-Impf­stoffe testeten, als sie erst­mals in Groß­bri­tan­nien einge­führt wurden. „Der durch­schnitt­liche Verlust an Silage-Trocken­masse von der Ernte bis zur Verfüt­te­rung beträgt 27 %. Dieser Verlust stammt nicht von verdau­li­chen Fasern und Asche, sondern von Kohlen­hy­draten und Eiweiß.“ Silage-Impf­stoffe wirken, indem sie dafür sorgen, dass Mikroben weniger Protein und die Energie aus der Silage verbrau­chen“, sagt er.  Effek­tive, moderne Biotech­no­logie verbes­sert den Fermen­ta­ti­ons­pro­zess von Silage. Eine Studie aus dem August 2023 verglich unbe­han­delte und behan­delte Mais-Weidel­gras-Silage und stellte fest, dass die Inoku­la­tion die Aufnahme von Trocken­masse erhöhte und die tägliche Milch­pro­duk­tion der Kühe um durch­schnitt­lich 2 kg pro Kuh stei­gerte, während sich gleich­zeitig der Fett-, Protein- und Lakto­se­ge­halt der Milch verbes­serte.