Arbeit neu denken

In der briti­schen Land­wirt­schaft ist der Zugang zu auslän­di­schen Arbeits­kräften begrenzt. Daher herrscht Arbeits­kräf­te­mangel. Außerdem haben viele Einhei­mi­sche kein Inter­esse daran, in diesem Bereich zu arbeiten. Doch einige Unter­nehmen haben neue Ideen – und machen so die Arbeit in der Land­wirt­schaft einer brei­teren Bevöl­ke­rungs­gruppe zugäng­lich.

Der Brexit und die Covid-19-Pandemie haben die Arbeits­welt im Verei­nigten König­reich deut­lich verän­dert. Vor allem Bran­chen, die auf Arbeits­mi­granten ange­wiesen sind, wurden schwer getroffen. Der briti­sche Bauern­ver­band National Farmers Union (NFU) berichtet, dass im ersten Halb­jahr 2022 Obst und Gemüse im Wert von 22 Millionen Pfund verdarben, weil nicht genü­gend Arbeits­kräfte zur Verfü­gung standen. Regie­rungs­sta­tis­tiken aus dem Jahr 2023 belegen, dass die Gesamt­zahl der land­wirt­schaft­li­chen Arbeits­kräfte in England im Vergleich zum Vorjahr um 2,9 % zurück­ging, wobei die Zahl der Gele­gen­heits­ar­beiter um 11 % gesunken ist.

Die Visums­pflicht und eine bessere Wirt­schafts­lage in ihren Heimat­län­dern haben dazu geführt, dass eine Arbeit in der briti­schen Land­wirt­schaft für osteu­ro­päi­sche Migranten, die lange Zeit einen wich­tigen Arbeits­kräf­te­pool für den Gartenbau und die inten­sive Milch­wirt­schaft bildeten, weniger attraktiv ist. Für ersteren wurde – zusammen mit der Geflü­gel­in­dus­trie – das Visums­pro­gramm für Saison­ar­beiter verlän­gert, aber die allge­meine Verän­de­rung der Beschäf­ti­gungs­mög­lich­keiten und -muster bedeutet, dass sich Unter­nehmen anpassen müssen, um über­le­bens­fähig zu bleiben.

Welche alter­na­tiven Möglich­keiten gibt es also?


Umdenken in Bezug auf Mitar­beiter

Paul Harris (links) arbeitet eng mit den Land­wirten zusammen, um die Arbeits­be­din­gungen der Mitar­beiter zu verbes­sern.
Laut Paul Harris ist es uner­läss­lich, bei der Mitar­bei­ter­ge­win­nung und -bindung einen anderen Ansatz zu verfolgen.

Wer neue Wege bei der Rekru­tie­rung und Bindung von Mitar­bei­tern gehen möchte, muss über Stel­len­an­zeigen hinaus­denken, sagt Paul Harris vom Perso­nal­dienst­leister Real Success. „Die Menschen schreckt es ab, auf Bauern­höfen zu arbeiten, weil sie glauben, dass die Arbeits­zeiten lang sind, die Arbeits­um­ge­bung schmutzig und manchmal gefähr­lich ist oder man bereits in der Land­wirt­schaft gear­beitet haben muss, um dort einen Job zu bekommen“, sagt er.

„Beim Vorstel­lungs­ge­spräch werden sie durch schlechte Kommu­ni­ka­tion, fehlende Struktur, einen schlechten ersten Eindruck vom Hof oder das Gefühl entmu­tigt, dass der Land­wirt nur einen „Arbeiter“ sucht und nicht jemanden, in den er inves­tieren kann. Sie kündigen aus den glei­chen Gründen, aber der Haupt­grund ist schlechte Kommu­ni­ka­tion – in der Regel durch den Hofbe­sitzer oder -verwalter.“

Die Arbeits­be­din­gungen können durch bessere Perso­nal­räume und Unter­künfte, die rich­tigen Werk­zeuge für die jewei­lige Aufgabe und eine Kultur der Gesund­heit und Sicher­heit anstelle der bloßen Einhal­tung von Vorschriften verbes­sert werden.

Paul empfiehlt Land­wirten, sich über Stel­len­be­schrei­bungen und Perso­nen­spe­zi­fi­ka­tionen Gedanken zu machen und darüber nach­zu­denken, warum der vorhe­rige Mitar­beiter das Unter­nehmen verlassen hat, bevor sie über­eilt eine Anzeige schalten. „Seien Sie sich bewusst, dass Websites wie Indeed an alle Arbeits­su­chenden richten, während Face­book-Posts in der Regel ein begrenz­teres Publikum errei­chen. Wenn Sie wirk­lich bereit sind, jemanden ohne Erfah­rung einzu­stellen, stellen Sie sicher, dass dies klar und idea­ler­weise zu Beginn der Anzeige ange­geben wird.“

Eine Anpas­sung der Arbeits­auf­gabe kann dazu beitragen, sie attrak­tiver zu machen. Die tradi­tio­nelle Arbeits­auf­tei­lung mit zehn 10-Stunden-Tagen, gefolgt von einer zwei­tä­gigen Pause, ist immer noch üblich, muss sich aber ändern. „Das ist nicht nach­haltig – die nächste Gene­ra­tion will einfach nicht mehr so lange arbeiten.“

„Betriebe, die ihre Arbeits­woche verkürzen – beispiels­weise auf 40 Stunden an fünf Tagen mit zwei freien Tagen –, sind viel attrak­tiver. Teil­zeit­kräfte für einfache Arbeiten oder zur Abde­ckung von Wochen­enden einzu­setzen, funk­tio­niert oft gut, aber es erfor­dert, dass Land­wirte anders über ihre Mitar­beiter und die Anzahl der benö­tigten Mitar­beiter denken“, bemerkt Paul. „Es muss nicht mehr Geld kosten, aber es kostet mehr Zeit, weil mehr Leute verwaltet werden müssen und die Dienst­pläne etwas komplexer sind.“

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Inclu­sive Farms

Von links nach rechts: Mike Duxbury, Jenna Ross, Duncan Ross und Ness Shil­lito

Menschen mit Behin­de­rung werden von Arbeit­ge­bern über­sehen und sind aufgrund des Mangels an barrie­re­freien Arbeits­plätzen unver­hält­nis­mäßig häufig von Arbeits­lo­sig­keit betroffen. „Rund 90 % der blinden und 78 % der autis­ti­schen Personen sind arbeitslos“, sagt Mike Duxbury, Land­wirt und Gründer von Inclu­sive Farms. „Für blinde Menschen hat sich diese Zahl seit 65 Jahren nicht verän­dert. Es ist scho­ckie­rend – und behin­derte Menschen wollen unbe­dingt arbeiten.“

Mike, der im Alter von sechs Jahren als blind regis­triert wurde, absol­vierte eine Ausbil­dung zum Tier­er­näh­rungs­be­rater und arbei­tete eine Zeit lang in der Unter­neh­mens­welt, bevor er den ersten inklu­siven Bauernhof in Bedford­shire grün­dete. Der Bauernhof, auf dem Schweine, Hühner, Gänse, Enten, Ziegen und klei­nere Tiere gehalten werden, wurde 2021 von Mike und seinem Partner gegründet. Er wieder­holt dies nun in Schott­land durch eine Part­ner­schaft mit dem MacRo­bert Trust. „Es war ein völlig unbe­bautes Gelände, das ich von Grund auf gestaltet habe“, erklärt er. „Im Jahr 2024 gibt es immer noch viele Speku­la­tion darüber, was eine behin­derte Person tun kann, und die meisten Projekte wurden von Menschen ohne Behin­de­rung ins Leben gerufen, die glauben, zu wissen, was eine behin­derte Person braucht.

Mike mit Rear Admiral Chris Hockley CBE.

„Wir sind das Problem anders­herum ange­gangen. Die Betriebs­ein­rich­tungen sind jetzt für alle unein­ge­schränkt zugäng­lich, ob im Roll­stuhl, mit Hilfs­mit­teln wie Krücken, mit einem Gehwagen oder mit Autismus. „Inclu­sive Farm ist ein voll funk­ti­ons­fä­higer Vieh­zucht­be­trieb – es handelt sich nicht um einen Gnadenhof.“ Die meisten Anpas­sungen, die Mike vorge­nommen hat, sind recht einfach: Alle Tore sind breit genug für Roll­stuhl­fahrer und haben die gleiche Größe. Er hat in den Vieh­ställen Matten auf dem Boden ausge­legt, damit er und andere Sehbe­hin­derte die Verän­de­rung des Boden­be­lags spüren und erkennen können, wo sie Einstreu plat­zieren müssen. Jeder Pferch ist etwas anders einge­zäunt, sodass Arbeiter und Besu­cher jeden Pferch mittels Berüh­rung iden­ti­fi­zieren können.

„Wir versu­chen, einen funk­tio­nie­renden Bauernhof zu schaffen, der von allen, die ihn nutzen wollen, leicht zu bewirt­schaften ist“, sagt Mike. „Eine der Heraus­for­de­rungen sind die Maschinen. Die meisten Trak­toren sind nicht zugäng­lich und nicht so einge­richtet, dass sie einfach zu bedienen sind. Die Tech­no­logie für Kameras und Sensoren ist vorhanden, aber sie sind nicht ohne Weiteres verfügbar.

„Die Land­wirt­schaft ist ein gefähr­li­cher Sektor und wir werden wahr­schein­lich mehr Menschen mit Behin­de­rungen in der Branche sehen. Es ist wichtig, dass Hersteller anfangen, über die Zugäng­lich­keit ihrer Trak­toren und Land­ma­schinen nach­zu­denken.“

Jede Woche besu­chen 22 Schüler die Inclu­sive Farm, um Erfah­rungen in der Land­wirt­schaft und im Umgang mit Tieren zu sammeln. Durch die Arbeit auf dem Bauernhof bauen sie Selbst­ver­trauen und Fähig­keiten auf, was, wie Mike hofft, die Arbeits­lo­sig­keit unter Menschen mit Behin­de­rung verän­dern wird.

„Letzt­end­lich möchte ich einfach, dass die Menschen eine sinn­volle Beschäf­ti­gung finden, sei es in der Land­wirt­schaft oder in einem anderen Bereich“, sagt er. „Wir müssen den Menschen mehr Selbst­wert­ge­fühl, Selbst­ver­trauen und Hoff­nung geben. Menschen mit Behin­de­rung haben das Recht zu arbeiten, ein schönes Leben zu führen, eine Familie zu haben, in den Urlaub zu fahren und Teil der Gesell­schaft zu sein.“

Mike bietet Besuche und Bera­tung für Land­wirte und andere Arbeit­geber an, die ihre Betriebe barrie­re­freier gestalten oder auf unter­schied­liche Bedürf­nisse eingehen möchten. „Wir müssen uns weiter­ent­wi­ckeln und können diese Heraus­for­de­rungen meis­tern, wenn wir zusam­men­ar­beiten. Das Wich­tigste ist, die Menschen zum Nach­denken zu bringen – je mehr Sie nach­denken und je mehr Sie hinter­fragen, desto mehr werden wir errei­chen.“

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Anwer­bung von Mili­tär­ve­te­ranen

Wenn sie Vete­ranen einstellen, müssen Land­wirte eine klare, struk­tu­rierte Ausbil­dung und Unter­stüt­zung bieten.

Fast 16.000 Mitglieder der Streit­kräfte werden im nächsten Jahr aus dem Militär ausscheiden, und viele werden eine Beschäf­ti­gung im land­ge­stützten Sektor suchen, sagt Jamie Crisp, CEO von High­Ground „Kriegs­ve­te­ranen suchen oft Arbeit in der Land­wirt­schaft und im Anbau, da die länd­liche Umge­bung anspre­chend ist und die Arbeit dort greifbar und lohnend ist.

„Die Arbeit im Freien und die Ausübung körper­lich aktiver, sinn­voller Tätig­keiten können die psychi­sche Gesund­heit und das Wohl­be­finden erheb­lich verbes­sern und bieten einen thera­peu­ti­schen Nutzen, der den Über­gang erleich­tert. Dieser Zustrom von Kriegs­ve­te­ranen bietet der Agrar- und der länd­li­chen Indus­trie eine einzig­ar­tige Gele­gen­heit, sich ihre wert­vollen Fähig­keiten und Erfah­rungen zunutze zu machen.“

Zu diesen Fähig­keiten gehören schnelles Lernen, Arbeits­ethik, Kommu­ni­ka­ti­ons­fä­hig­keiten, Problem­lö­sungs­ori­en­tiert­heit und die Fähig­keit, sowohl im Team als auch allein zu arbeiten, bemerkt Jamie. Darüber hinaus verfügen Kriegs­ve­te­ranen oft über eine medi­zi­ni­sche Ausbil­dung, Erfah­rung im Fahren abseits der Straße, ein außer­ge­wöhn­li­ches Verständnis für Gesund­heit und Sicher­heit, arbeiten gerne im Freien, sind gute Navi­ga­toren und daran gewöhnt, sich jenseits ihrer Komfort­zonen zu bewegen.

Ehema­lige Mili­tär­an­ge­hö­rige sind sehr anpas­sungs­fähig und körper­lich aktiv.
Es gibt viele Möglich­keiten, Vete­ranen auf Stel­len­an­ge­bote aufmerksam zu machen.

Bei der Einstel­lung von Kriegs­ve­te­ranen müssen Land­wirte deren beruf­li­chen Hinter­grund berück­sich­tigen und sich entspre­chend anpassen. „Eine klare, struk­tu­rierte Schu­lung und Unter­stüt­zung kann ihnen helfen, sich in ihren neuen Aufga­ben­fel­dern zurecht­zu­finden“, erklärt Jamie. „Wenn man berück­sich­tigt, dass sie ein Bedürfnis nach Sinn­haf­tig­keit und Kame­rad­schaft haben, kann dies die Arbeits­zu­frie­den­heit stei­gern. Führungs­stile, die Wert auf direkte Kommu­ni­ka­tion, Respekt und die Möglich­keiten zur Über­nahme von Führungs­rollen legen, kommen bei Kriegs­ve­te­ranen gut an.“

Es gibt viele Möglich­keiten, um den ehema­ligen Mitglie­dern der Streit­kräfte Stel­len­an­ge­bote vorzu­legen, fügt er hinzu. „Erstens können Land­wirte mit Orga­ni­sa­tionen wie uns zusam­men­ar­beiten. Sie können auch auf Platt­formen, die sich an Kriegs­ve­te­ranen richten, wie z. B. Jobbörsen für Mili­tär­an­ge­hö­rige und Selbst­hil­fe­gruppen für Kriegs­ve­te­ranen, für offene Stellen werben.

„Darüber hinaus kann die Teil­nahme an Karrie­re­messen und Work­shops, die sich an ehema­lige Ange­hö­rige des Mili­tärs richten, wie z. B. Road­shows von Career Tran­si­tion Part­ner­ship und British Forces Resett­le­ment Services, dazu beitragen, diese quali­fi­zierten Arbeits­kräfte zu errei­chen. Arbeit­geber können sich auch an spezia­li­sierte Perso­nal­ver­mitt­lungs­un­ter­nehmen und das Team der Career Tran­si­tion Part­ner­ship wenden, um geeig­nete Kandi­daten zu finden.“