Rothams­teds 180-jährige Ernte

Mitten in Hertford­shire (England) beher­bergt Rothamsted Rese­arch die welt­weit am längsten laufenden land­wirt­schaft­li­chen Versuche – ein wissen­schaft­li­ches Erbe, welches weiterhin land­wirt­schaft­liche Prak­tiken und die Forschung welt­weit beein­flusst.

Seit fast zwei Jahr­hun­derten bieten die Expe­ri­mente von Rothamsted Rese­arch unschätz­bare Einblicke in die Dynamik der Boden­ge­sund­heit, Ernte­er­träge und Wech­sel­wir­kungen mit der Umwelt. Im Zuge der Weiter­ent­wick­lung der Land­wirt­schaft bleibt Rothamsted eine tragende Säule im Streben nach einer nach­hal­tigen Land­wirt­schaft und trägt dazu bei, die drin­genden Heraus­for­de­rungen des Klima­wan­dels und der Ernäh­rungs­si­cher­heit zu bewäl­tigen.

Die klas­si­schen Expe­ri­mente bezeichnen Lang­zeit­ver­suche, die von Sir John Bennet Lawes und Sir Joseph Henry Gilbert zwischen 1843 und 1856 ange­legt wurden. Obwohl ursprüng­lich nicht als Lang­zeit­stu­dien geplant, wurde der Wert der Wieder­ho­lung der Versuche deut­lich. „Diese Versuche sollen nicht mir Geld einzu­bringen, sondern Ihnen das Wissen vermit­teln, mit dem Sie viel­leicht mehr Geld verdienen können.‟ (Sir John Lawes, 1854)

Ein heraus­ra­gender Aspekte der Arbeit von Lawes und Gilbert war ihr Weit­blick, Proben von Feld­früchten und Böden für die chemi­sche Analyse aufzu­be­wahren. Spätere Gene­ra­tionen von Wissen­schaft­lern haben die Samm­lung konti­nu­ier­lich erwei­tert. Heute umfasst das Archiv von Rothamsted rund 300.000 Proben, darunter ofen­ge­trock­netes, gemah­lenes und unge­mah­lenes Pflan­zen­ma­te­rial sowie Böden, Dünger und Dünge­mittel, die auf den Versuchs­flä­chen ausge­bracht wurden.

Proben von Böden, Nutz­pflanzen und Dünge­mit­teln werden seit fast 100 Jahren in Rothamsted aufbe­wahrt.
Broad­balk im Jahr 1880 – Arbeiter ernten Getreide von Hand, in einer Zeit vor den modernen Mähdre­schern.

Auf dem Broad­balk-Feld, das bereits seit Jahr­hun­derten als Acker­land genutzt worden war, wurde 1843 erst­mals versuchs­weise Winter­weizen gesät und 1844 geerntet. Seitdem wurde auf demselben Schlag jedes Jahr Weizen ange­baut und geerntet, ein Beweis für die Konti­nuität der lang­fris­tigen Forschung. 

Rothamsted während des Krieges

Trotz Perso­nal­knapp­heit wurden die Versuche während beider Welt­kriege unver­än­dert fort­ge­setzt. Die Frau des Betriebs­lei­ters über­nahm den Betrieb während dessen Einbe­ru­fung und war Berichten zufolge die erste Chefin, die ihn mit Gewinn führte. Auch Einfalls­reichtum war gefragt. Als kein Glas für die Aufbe­wah­rung von Proben zur Verfü­gung stand, brachten die Mitar­beiter Dosen von zu Hause mit. So lieferte Rothamsted selbst unter solch widrigen Bedin­gungen weiterhin wich­tige Daten. 

Andy Gregory, Leiter der Lang­zeit­ver­suche von Rothamsted, denkt manchmal über die Bedeu­tung dieser histo­ri­schen Versuche nach.  „Ich bin jetzt seit etwas mehr als 20 Jahren bei Rothamsted und erlebe immer wieder, wie die Versuche unser Verständnis für die aktu­ellen Heraus­for­de­rungen in der Land­wirt­schaft beein­flussen und wie sie die Grund­lage für Lösungen von Problemen legen können, die wir noch gar nicht kennen.‟

Andy Gregory auf dem Broad­balk-Feld, auf dem seit 1844 jedes Jahr Winter­weizen ange­baut wird.

Was wird unter­sucht?

Die Versuche wurden ursprüng­lich ange­legt, um zu unter­su­chen, wie verschie­dene Nähr­stoffe das Pflan­zen­wachstum beein­flussen. Dabei wurden Stick­stoff, Phos­phor und Kalium einzeln und in verschie­denen Kombi­na­tionen getestet. Insbe­son­dere Stick­stoff wurde in unter­schied­li­chen Mengen in anor­ga­ni­scher Form ausge­bracht. Jeder Versuch umfasste auch eine Kontroll­par­zelle (ohne Maßnahmen) und eine weitere, die mit orga­ni­schem Dünger vom Betrieb gedüngt wurde, was wert­volle Vergleiche über die Zeit ermög­lichte.

Eine Beson­der­heit dieser Versuche, die von Lawes und Bennet einge­führt wurden, bestand darin, dass Jahr für Jahr dieselbe Kultur ange­baut wurde. Obwohl dies in der Land­wirt­schaft des 19. Jahr­hun­derts nicht üblich war, wählten sie bewusst diesen Ansatz, da sie glaubten, dass dies der effek­tivste Weg sei, den lang­fris­tigen Nähr­stoff­be­darf von Feld­früchten zu verstehen und genau bestimmen zu können. „Seit dem Tod von Lawes wurden einige Ände­rungen vorge­nommen, z. B. wurden weitere Parzellen ange­legt, um die Auswir­kungen von P in Gegen­wart von N, K, Na, and Mg zu testen‟, erklärt Andy Gregory.

Die Versuche umfassen 19 Anbau­par­zellen mit unter­schied­li­chen Dünge­mittel- und Mist­be­hand­lungen.

„Seit den 1950er Jahren wird gele­gent­lich Kalk ausge­bracht, um den pH-Wert auf einem Niveau zu halten, bei dem der Ernte­er­trag nicht beein­träch­tigt wird. Bis nach dem Ersten Welt­krieg wurden die Versuche von Hand gejätet, aber der Mangel an Arbeits­kräften führte dazu, dass die Unkraut­druck so stark wurde, dass die Erträge in den 1920er Jahren zurück­gingen. Zur Unkraut­be­kämp­fung wurde der Versuch in fünf Abschnitte unter­teilt, von denen jedes Jahr ein Abschnitt brach­ge­legt wurde, so dass sich die Erträge erholen konnten.‟

Seit 1964 werden auf allen Parzellen Herbi­zide einge­setzt, mit Ausnahme der Hälfte eines Abschnitts, auf dem das Unkraut wachsen darf, sofern nicht ein Brache­jahr an der Reihe ist. Die aktu­elle Weizen­sorte befindet sich im sechsten und letzten Anbau­jahr, eine Praxis, die dem typi­schen Sechs-Ernte-Zyklus vor einer Umstel­lung entspricht. In diesem Herbst wird sie durch eine neue, bei den Land­wirten beliebte Sorte, aus der Empfeh­lungs­liste ersetzt. Die Entschei­dung über die neue Sorte triffe ein Ausschuss, dem dem Wissen­schaftler, Agro­nomen und land­wirt­schaft­liche Mitar­beiter ange­hören.

Erkennt­nisse aus Lang­zeit­ver­su­chen

„Es handelt sich dabei immer um eine Brot­wei­zen­sorte, die eine gute Krank­heits­re­sis­tenz aufweist und von der wir sicher sind, dass wir das Saatgut für die nächsten fünf Jahre bekommen können‟, erklärt Andy Gregory. „Dies verdeut­licht die wich­tigsten Prio­ri­täten im Auswahl­pro­zess: Es muss sicher­ge­stellt sein, dass der Weizen für die Brot­her­stel­lung geeignet ist, gegen häufige Krank­heiten resis­tent ist und für künf­tige Anpflan­zungen zur Verfü­gung steht.

Das Broad­balk-Feld wird seit Jahr­hun­derten land­wirt­schaft­lich genutzt.

Rothams­teds histo­ri­sches Archiv bewahrt über 300.000 Proben von Böden, Nutz­pflanzen und Dünge­mit­teln auf.

Während neue Tech­no­lo­gien die Land­wirt­schaft weiter verän­dern, weist Andy Gregory neuere Entwick­lungen in der Boden­über­wa­chung in Rothamsted hin. Dafür werden Sensoren in den Boden einge­führt, die das Gefüge nicht beschä­digen oder zerstören. Aller­dings sind noch weitere Tests nötig, bevor sie die tradi­tio­nellen chemi­schen Methoden voll­ständig ersetzen können. Dies deutet auf einen span­nenden Wandel hin zu einer effi­zi­en­teren und weniger inva­siven Boden­ana­lyse hin, auch wenn die tradi­tio­nellen Verfahren weiterhin uner­läss­lich sind.

Die Lang­zeit­ver­suche von Rothamsted ermög­li­chen uner­war­tete Entde­ckungen. „Ein Student hat sich an uns gewandt, weil er wusste, dass wir Böden aus der Zeit vor dem Plas­tik­zeit­alter haben. Er konnte über­zeu­gend nach­weisen, dass sich in den vergan­genen Jahr­zehnten Mikro­plastik in den Parzellen ange­sam­melt hat, in denen wir anor­ga­ni­sche Dünge­mittel oder Gülle verwenden. Aber auch auf der Null­par­zelle hat sich Mikro­plastik ange­sam­melt“, erklärt Andy Gregory.

Klima­ver­än­dernde Wetter­muster

„Es besteht kein Zweifel, dass der Klima­wandel unser Wetter beein­flusst‟, erklärt Andy Gregory. „In den 1850er Jahren begann Lawes damit, Regen­wasser, zu sammeln. Und seit den 1870er Jahren verfügen wir über Daten zur Luft­tem­pe­ratur. Kürz­lich hat sich ein Student die lang­fris­tigen Wetter­auf­zeich­nungen und die Aufzeich­nungen über die Ernte­er­träge ange­sehen, was zeigt, wie wert­voll unsere lang­fris­tigen Aufzeich­nungen sind‟, fährt er fort. „Er konnte etwa 10 verschie­dene Wetter­muster iden­ti­fi­zieren und fest­stellen, dass einige, die im 19. und frühen 20. Jahr­hun­dert häufiger auftraten, heute weniger häufig vorkommen.‟

Diese Forschung zeigt eindrucks­voll, wie entschei­dend die umfang­rei­chen histo­ri­schen Daten­sätze von Rothamsted für die Iden­ti­fi­zie­rung und das Verständnis der realen Auswir­kungen des Klima­wan­dels auf land­wirt­schaft­liche Muster sind.

Die Zukunft von Rothamsted

Die Zukunft von Rothamsted ist zwar noch offen, aber der Entde­cker­geist ist unge­bro­chen. „Ohne genau zu wissen, was passieren wird‟, meint Andy Gregory, „denke ich, dass wir zuver­sicht­lich sein können, dass sich die Dinge ändern werden, dass neue Dinge gemessen werden und dass sie auf neue Art und Weise genutzt werden, sozu­sagen anek­do­tisch auf der Grund­lage dessen, was bisher passiert ist.‟

Die Lang­zeit­ver­suche von Rothamsted sind ein uner­setz­li­cher globaler Aktiv­posten, der konti­nu­ier­liche, unschätz­bare Daten liefert, die über unmit­tel­bare Anwen­dungen hinaus­gehen. „Was mich an den klas­si­schen Expe­ri­menten faszi­niert, ist, dass ich nicht weiß, wo die Daten, die ich sammle, verwendet werden könnten. Es kann noch 100 Jahre dauern, bis sie ihr volles Poten­zial entfaltet haben,‟ resü­miert Andy Gregory.